APRIL 2021 – FIPS-NEWS NR. 32: ZU DEN QUELLEN UND BESTANDTEILEN DES DEUTSCHEN RASSISMUS – TEIL i

Editorial

In mehreren Teilen werden wir das Thema „Quellen und Bestandteile des deutschen Rassismus“ behandelt. Das Essay ist eine Verschriftlichung mehrerer Vorträge des Verfassers zu diesem Thema in einer Schulklasse und in drei Seminaren mit Jugendlichen. Zwar haben auch andere nationale Rassismen z.T. die gleichen oder ähnliche Quellen, verwenden die gleichen oder ähnliche Methoden oder sind durch gleiche oder ähnliche Inhalte gekennzeichnet, trotzdem findet sich eine spezifisch deutsche Ausprägung des Rassismus, der versucht werden soll herauszuarbeiten.

Die deutsche rassistische Ideologie weist auch in Folge ihrer Entwicklung eine solche Bandbreite auf, dass auch verschiedene politische Parteien und Strömungen sich einzelne dieser Bestandteile bedienen und in den Mittelpunkt ihres Programms stellen können.

Das Thema ist in zwei große Teile untergliedert. Der erste Teil behandelt die Quellen und der zweite Teil die Bestandteile des deutschen Rassismus. Diese Teile bestehen aus folgenden Abschnitten:

Teil I: Was sind die Quellen des deutschen Rassismus?

  • Patriarchat
  • Christliche Judenfeindschaft
  • Rational begründeter Rassismus
  • Deutsche Romantik und der „Arische Mythos“
  • Franzosenhass und völkische Deutschtümelei
  • Evolutionslehre Darwins und der germanische Rassismus
  • Rassistischer „Antisemitismus“ im deutschen Kaiserreich
  • Mythos von der unterdrückten deutschen Nation in der Weimarer Republik

Teil II: Was sind die Bestandteile des heutigen deutschen Rassismus?

  • Kolonial-Rassismus
  • NS-Rassismus
  • Kultur-Rassismus

Wir verstehen das Essay als ein Einstieg in dieses Thema, weshalb Kommentare und Beiträge ausdrücklich erwünscht sind.

Im dem hier vorgelegten Teil behandeln wir den Abschnitt „Patriarchat“ und „Christliche Judenfeindschaft“.

25. 4. 2021 Dr. Peter Milde

Quellen und Bestandteile des deutschen Rassismus

Teil I: Was sind die Quellen des deutschen Rassismus ?

1. Patriarchat

Das Patriarchat ist die ökonomische, soziale, politische und ideologische Vorherrschaft der Männer über die Frauen. Es entstand in einem sich über Jahrhunderte hinziehenden Prozess, in dem die matriarchalen Gesellschaften auch durch gewaltsame Mittel zerstört wurden. Das Matriarchat basierte auf dem gemeinschaftlichen Eigentum, Privateigentum existierte nicht. Die Produktion, die Familienstrukturen, die Geschlechter- und Liebesbeziehungen und die gesellschaftliche Organisation orientierten sich zwar an den Frauen und Müttern, doch beherrschten die Frauen und Mütter nicht die Männer. Matriarchale Gesellschaften kannten die Einzelehe nicht. Im Zusammenleben und im Liebesleben waren weder Frauen an einzelne Männer noch Männer an einzelne Frauen dauerhaft gebunden.

Die Frauen verloren ihre angesehene und unabhängige Stellung zuerst in den Stämmen, in denen die Viehzucht die wichtigste Produktionsform der Lebensmittel und je mehr sich die Produktivkräfte und die Arbeitsteilung entwickelte und je mehr vom überschüssigen Reichtum sich die Männer als Produzenten privat aneignen könnten. Diese patriarchale Revolution brachte den ersten Klassengegensatz hervor, den sozialen Gegensatz zwischen Frauen und Männern.

Mit der Herausbildung der Vorherrschaft der Männer über die Frauen verwandelten sich die Liebesverhältnisse und Verwandtschaftsbeziehungen der Geschlechter. Waren in den matriarchalen Sippen und Stämmen die Frauen auf Grund ihrer Leistungen in der Produktion und Reproduktion hochangesehen, so änderte sich dies.

Das Ansehen der Männer basierte auf ihrem Reichtum, ihrem Privateigentum und ihrer gesellschaftlichen Macht. Das Vaterrecht sicherte das Eigentum und dessen Vererbung. Auch die Liebes- und Geschlechterbeziehung und die Beziehung zu den Kindern wurden nunmehr vom Besitz- und Eigentumsrecht geprägt. Die Abstammung der Kinder vom Vater musste sicher sein. Die patriarchale Einzelehe war entstanden, in der der Mann Eigentümer des Familienbesitzes war und die Frau und die Kinder quasi sein „Privateigentum“ waren.

Durch die anti-patriarchalen Kämpfe der Frauenbewegungen für Gleichheit, Gleichberechtigung und Emanzipation haben Frauen eine ganze Reihe von Rechten und Verbesserungen ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen erlangen können. Zugleich rief und ruft dies jedoch reaktionäre frauenfeindliche Reaktionen der patriarchalen Männer und der patriarchal organisierten Gesellschaft hervor. Nicht zuletzt lebt das Patriarchat weiterhin durch die direkte persönliche Gewalt gegenüber Frauen (Femiziden, Körperverletzungen, Vergewaltigungen, Zwangsprostitution, Demütigungen und Missachtungen) sowie durch die Konditionierung der Geschlechterrollen in der Erziehung.

Die patriarchale Unterdrückung der Frauen schuf wesentliche Elemente des Rassismus:

  • Die Verachtung, Demütigung und Diskriminierung,
  • Die Gewalttätigkeit und Brutalität,
  • Die Machtausübung in allen Lebensbereichen,
  • Die Vorstellung von einer Minderwertigkeit,
  • Die Geringschätzung der produktiven und reproduktiven Arbeit,
  • Die psychologische und pädagogische Manipulation.

Rassisten sind daher zugleich extreme Frauenfeinde. Frauenfeindliche Rassisten reduzieren Frauen auf ihre angeblich „natürlichen“ Funktionen der Mutterschaft und der Dienerin des Mannes. Sie suchen sich für ihre verbalen oder auch gewalttätigen Angriffe gezielt in der Öffentlichkeit aktive und emanzipierte Frauen aus.

2. Christliche Judenfeindschaft

Trennung des Christentums vom Judentum und die Entstehung judenfeindlicher Narrative

In den frühen christlichen Gemeinschaften war Judenfeindschaft unmöglich. Die Mitglieder dieser Gemeinden verstanden sich als Teil des jüdischen Volkes. (Die vom Judentum zum frühen Christentum übergetretenen Juden werden daher auch als „Judenchristen“ bezeichnet). Das Christentum war zu jener Zeit nur eine von vielen „jüdischen“ Sekten. Das Aufkommen dieser jüdischen Sekten begleitete den Zerfall des jüdischen Staates in Folge der Niederlagen der jüdischen Aufstände gegen das Römische Reich.

Während einige der jüdischen Sekten am Widerstand gegen Rom festhielten, war ein Kennzeichen der neuen jüdisch-christlichen Sekte, dass ihre religiösen Vorstellungen das jüdische Volk trösten und mit seiner hoffnungslosen Lage versöhnen sollte, indem es die Unterdrückung auf Erden erdulden und sich damit abfinden sollte, im göttlichen Jenseits nach dem Tode dafür mit Glück belohnt zu werden.

Mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch die Römer 70 n.u.Z. wurden die Pharisäer („Schriftgelehrten“) die wichtigste Strömung im rabbinischen Judentum, da der Tempel mit seinen Tempelpriestern als zentrale religiöse Macht des Judentums weggefallen war.

Als den Juden 130 n.u.Z. das Siedlungsrecht in Israel abgesprochen wurde und durch die Missionierung sog. Heiden zu Christen die Judenchristen in den meisten christlichen Gemeinden in die Minderheit gerieten, vollzog sich die endgültige Trennung des Christentums vom Judentum.


Torah and jad – exhibits in Big Synagogue Museum, Wlodawa – Poland. CC BY 2.5, Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Judentum#/media/Datei:Torah_and_jad.jpg

Bereits in den christlichen Evangelien, die etwa um diese Zeit schriftlich fixiert wurden, finden sich in Abgrenzung zu den jüdischen Wurzeln diffamierende Charakterisierungen der Pharisäer als Heuchler und verschiedene judenfeindliche Narrative:

  • Die Juden hätten den „Teufel als Vater“ und seien daher Feinde der Christen (Johannes 8,44ff).
  • Die Juden hätten „Schuld an der Kreuzigung“ von Jesus (Matthäus 27,15ff, Paulus 1. Brief an die Thessaloniker 2,14ff).
  • Die Legende vom „Verräter Judas“, der für dreißig Silberlinge Jesus verraten und verkauft habe (Matthäus 27,3ff). Judas dient als Personifikation und Sinnbild für „die“ angeblich betrügerischen, verräterischen und heuchlerischen Juden.
  • Die Legende vom „göttlichen Blutfluch“ über das ganze jüdische Volk und aller seiner künftigen Generationen (Matthäus 27,25).

Diese antijüdischen Narrative wurden systematisch in christlichen Schriften mit den Titeln „Adversos Judaeos“ („Gegen die Juden“) weiterentwickelt und von den sog. „Kirchenvätern“ (etwa Augustinus von Hippo, 354 – 430) übernommen und weiter ausgebaut:

  • Gott habe das ehemals von ihm auserwählte Volk der Juden verworfen.
  • Die Existenz des Christentums beweise den jüdischen Irrglauben.
  • Die Juden seien Gott ungehorsam gewesen.
  • Die Zerstörung des Tempels, der Verlust der Heimat, die Verfolgung und Zerstreuung der Juden in der Diaspora seien Strafen Gottes.
  • Die Juden seien in allen Generationen verflucht, weil sie Jesus als Messsias abgelehnt hätten und an seinem Tod schuldig seien. Dieser Vorwurf wurde bis hin zum „Gottesmord“ gesteigert.
  • Den Juden wurde ein krimineller Charakter und eine Mordlust an Christen unterstellt.
  • Die Juden könnten nur durch die Taufe und den Übertritt zum Christentum gerettet werden.
  • Die Juden seien jedoch starrköpfig und Heuchler und ließen sich nicht bekehren.
  • Die Juden stünden mit dem Teufel im Pakt (Darstellung der Juden mit Teufelshörnern).

Wir sprechen ganz bewusst nicht von Antijudaismus oder christlichem Antijudaismus, weil die Diffamierung und Ausgrenzung der Juden durch das Christentum seit der Trennung beider voneinander keinesfalls nur ein religiöser Gegensatz war, was aus dem Folgenden hervorgehen wird.

Christentum als Staatsreligion und die christliche Diffamierung, Unterdrückung, Vertreibung und Vernichtung der Juden im Mittelalter

Mit der Konstantinischen Wende (313 n.u.Z.) endete die Christenverfolgung und begann der Siegeszug des Christentums im Römischen Reich, der 393 n.u.Z. mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion endete. Ab 380 n.u.Z. begannen von Christen ausgehende Pogrome gegen jüdische Gemeinden im römischen Reich.

Die christlich-katholische Judenfeindschaft setzte sich im Mittelalter im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ fort. Judenfeindliche Narrative dienten nunmehr auch dazu die Juden als „Sündenböcke“ für alle möglichen Krisen, Konflikte, Krankheiten usw. verantwortlich zu machen. Hierzu wurde antijudaistische und antijüdische Hetze und Ausgrenzung systematisch betrieben und durch die christliche Kirche in der Bevölkerung verbreitet und diese immer wieder zu Pogromen angestachelt.

Im 9. Jahrhundert wurde den Juden der Erwerb von Grundbesitz verboten. Im 10. Jahrhundert organisierten sich die Handwerker in den Städten zu Zünften, die zugleich christliche Bruderschaften waren. Juden durften daher keine Handwerker sein. Juden durften nur sozial geächtete Berufe wie Trödelhandel, Pfandleihe oder Kredithandel ausüben. Da auch das Kleingewerbe zunehmen auf Geldkapital angewiesen war, wurden jüdische Kreditgeber als Wucherer (Zinsnehmen war in der christlich-religiösen Ideologie dem Wucher gleichgestellt) und Betrüger beschimpft. Dieses Narrativ wurde auf alle Juden ausgedehnt. Obgleich die übergroße Mehrheit der Juden arm war und im Elend lebte, wurden alle Juden, auch die armen Juden, als habgierig und betrügerisch verleumdet. Dieses antijüdische Klischee überdauerte alle Zeiten und gesellschaftliche Umbrüche.

Juden wurden als minderwertige Menschen diffamiert: Juden werden mit Schweinsohren oder als „Judensau“-Reliefs an christlichen Kirchen dargestellt. (Etwa die „Frankfurter Judensau“ – Kupferstich des 18. Jahrhunderts von einem Gemälde am Brückenturm in Frankfurt – Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Judensau_Frankfurt.jpg#/media/Datei:Judensau_Frankfurt.jpg).

Die christlichen Meuchelmörder zogen zu Beginn des 1. Kreuzzugs 1096 in Frankreich und im Reich deutscher Nation von Stadt zu Stadt und mordeten Tausende von Juden in Metz, Rouen, Speyer, Worms, Mainz, Trier, Köln, Neuss, Wevelinghoven, Altenahr, Xanten, Moers, Prag und schließlich auch in Jerusalem.

Im sog. „Reichslandfrieden“ stellte Kaiser Heinrich IV. die Juden unter seinen Schutz. Den Schutzjuden war es verboten, Waffen zu tragen und damit galten sie quasi als „vogelfrei“. Im Gegenzug erhob der Kaiser eine „Schutzsteuer“ von den jüdischen Gemeinden. In der Tat diente dies nur zur Bereicherung des deutschen Königs und Kaisers und bot den Juden keinen Schutz.

Im 12. Jahrhundert wurden jüdische Kaufleute immer mehr von christlichen Kaufleuten aus dem internationalen Handel verdrängt. Die jüdischen Gemeinden mussten immer höhere Schutzzölle und Sondersteuern bezahlen. Es begann die Auswanderung der Juden nach Osteuropa.

Weite Verbreitung fand die religiöse Hetze und Verleumdung der Juden durch christliche Prediger, Mönche und Priester: Juden würden zum Pessachfest Christen-Kinder töten und ihr Blut zum Backen von Mazzen verwenden. Immer wieder tauchten religiöse Hetzschriften gegen den Talmud auf, in dem angeblich Christi und die „Jungfrau“ Maria blasphemisch beleidigt würden. Juden wurden sog. „Hostienschändung“ (Leib Christi) beschuldigt. In ihrem angeblichen Hass gegen Christen würden die Juden die Hostien durchstechen, sodass das Blut Christi aus ihnen heraus fließe.

Als Folge dieser Hetze kam es immer wieder zur gewaltsamen Angriffen gegen jüdische Familien und Gemeinden. Ein solches Pogrome an Juden im Mittelalter im Rheintal prangerte Heinrich Heine in seiner Erzählung „Der Rabbi von Bacharach“ an.

Das Laterankonzil 1215 n.u.Z. schrieb den Juden eine besondere Kleiderordnung und Kopfbedeckung vor (runde Scheibe oder spitzer Hut). Juden sollten ausgegrenzt und eine „Vermischung“ mit Christen so verhindert werden.

Auch Juden wurden neben den von der katholischen Theologie abweichenden christlichen Lehren als Häresien von der christlichen Inquisition (Dominikanern) verfolgt.

Kaiser Friedrich II. erklärte 1236 n.u.Z. die Juden zu seinen „Kammerknechten“. Dafür, dass die Juden unter seinem Schutz standen und einen „Schutzbrief“ erhielten, mussten diese ihm das sog. „Judenregal“, eine Sondersteuer, zahlen.

Die Konflikte zwischen Papst und Kaiser im 13. Jahrhundert (Interregnum) führte zur Schwächung der zentralen Reichsgewalt, zur Stärkung der Kurfürstentümer, dem Raubrittertum und zur Kleinstaaterei im „Deutschen Reich“. Der deutsche König war nunmehr eine Macht neben den Landesfürsten und den Städten. Die bürgerlichen Patrizier und Kaufleute, die die freien Reichsstädte regierten, schlossen zur Behauptung ihrer politischen Macht und Geschäftstätigkeit zu Städtebünden (Rheinische Bund, Hanse) zusammen. Das Recht auf Eintreiben einer Sondersteuer von den Juden ging vom Kaiser und deutschen König auf die Landesfürsten und die Reichsstädte über, die sich die Niederlassung von Juden teuer bezahlen ließen. Aber auch dies schützte die Juden nicht.

Einige wenige Juden gelangten als Kreditgeber an Fürsten und Geschäftsleute zu Zinseinnahmen, von denen sie jedoch hohe Steuern zu zahlen hatten. Durch Verfolgungen, Massaker und Pogrome entledigten sich die Schuldner regelmäßig ihrer jüdischen Gläubiger und waren damit ihre Schulden los. Hingegen blieb der großen Masse der Juden lediglich der Trödelhandel und ein leben in großer Armut.

Während Hungersnot und Seuchen die Bevölkerung im 13. Jahrhundert dahinraffte, die Bauern und die städtische Bevölkerung verarmte, verbreiteten vor allem christliche Prediger, Bettelmönche und Franziskaner geschickt die Lüge von den Juden als betrügerische und ehrlose Wucherer. Die Folge waren Wellen von Pogromen in Franken, Schwaben, im Rheingau, in Österreich, der Steiermark und dem Elsass. Die jüdischen Gemeinden in Erfurt, Fulda und München wurde im 13. Jahrhundert völlig ausgelöscht.

Noch vor Ausbruch der Pest in Mitteleuropa kam es zu einer Welle von Pogromen in Franken, Bayern, Südwestdeutschland, dem Elsass und in Hessen („Rintfleisch-Pogrom“ und „Armlederbewegung“). Ein verarmter Ritter, ein abgewirtschafteter Edelmann und ein Gastwirt hetzten die verarmte Bauern und Städter u.a. mit Ritualmordlegenden und dem Klischee vom Wucherer gegen die Juden auf und führten diese „Judenschläger“ mordend und brandschatzend von einer zur anderen jüdischen Gemeinde. Tausende der jüdischen Bevölkerung im „Deutschen Reich“ wurden ermordet.

In der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden die Juden für den sog. „schwarzen Tod“ (Pest) verantwortlich gemacht. Die weltliche und geistliche Macht verbreitete, dass Juden die Brunnen in den Städten vergiftet hätten. Religiöser Hass, Aberglaube und die Legende von dem betrügerischen Juden stachelte erneut zu mörderischen Massakern auf. Danach lebten nur noch wenige Juden in Mitteleuropa.

In öffentlichen Passionsspielen und Fastnachtsspielen wurden Juden als „Satan“ und „Antichrist“ dargestellt und auf der Bühne „bestraft“. So wurden spielerisch Pogrome und Vertreibung eingeübt.

Systematisch wurden die Juden vertrieben, wenn sie nicht zum Christentum übertraten: 1290 aus England, 1394 aus Spanien, 1492 aus Spanien und Portugal. Viele Juden flohen in die Städte nach Holland und in die deutschen Reichsstädte, aber auch nach Polen, Ukraine, Griechenland und ins Osmanische Reich.

Die sich im deutsch-sprachigem Raum neu angesiedelten Juden waren jedoch auch dort vor Pogromen nicht sicher. Christliche Theologen polemisierten und hetzten gegen den jüdischen Talmud, die jüdischen Sitten und Gebräuche. Der sog. „Hexenhammer“, der 1486 erstmals in Speyer veröffentlicht wurde, erreichte bis in das 17. Jh. 29 Auflagen. Die große Verbreitung verdankte der Hexenhammer dem neu erfundenen Buchdruck. Der Hexenhammer rechtfertigte nicht nur die Hexenverfolgungen sondern auch die Judenverfolgungen. Der neue Begriff des „Hexensabbats“ ist Ausdruck der Verbindung der christlichen Judenfeindschaft mit dem frauenfeindlichen christlichen Hexenwahn.

Ab dem 11. Jahrhundert wurden in den Städten Ghettos für Juden errichtet. Mitte des 15. Jahrhunderts bestanden in den meisten deutschen Städten solche „Judenviertel“ oder „Judengassen“, die von Mauern umgeben waren. Juden durften ausschließlich in diesen Ghettos wohnen, deren Tore nachts verschlossen wurden (z.B. zu sehen im Museum Judengasse am Börneplatz in Frankfurt).

Die religiöse Diskriminierung und Diffamierung der Juden, der Vorwurf „teuflischer“ Verbrechen (Ritualmord, Hostienfrevel, Blasphemie und Brunnenvergiftung) war im ganzen Mittelalter hindurch bis in das bürgerliche Zeitalter hinein immer wieder Anlass für Pogrome und Vertreibungen der Juden.

Vor allem in Zeiten wirtschaftlicher Krisen, Hungersnöten und Seuchen wurde die Wut der Bevölkerung auf die sozialen Missstände von den Herrschenden auf „die Juden“ abgelenkt, die als Sündenböcke herhalten mussten. Nachdem die „Judenschläger“ die Juden getötet oder vertrieben hatten, plünderten sie deren bescheidenen Besitz und waren der irrigen Ansicht, es ihren Feinden heimgezahlt zu haben.

Protestantisch-Lutherische Judenfeindschaft

Anfangs glaubte Luther, dass sich die jüdischen Gemeinden den „antikatholischen“ Protestanten anschließen und zum protestantischen Christentum bekehren ließen. Als dies nicht der Fall war, zeigte Luther sein judenfeindliche Einstellung, die durch eine besonders aggressive Sprache und Verachtung charakterisiert ist.

Luther bediente die judenfeindlichen Narrativ von den Juden als „Ausbeuter“, „geheime Herrscher“ und „Vernichter“ der Deutschen (Martin Luther: Von den Juden und ihren Lügen, 1543):

  • „Denn die Juden, als im Elende, sollten ja wissentlich nichts haben, und was sie haben, das muss gewisslich unser sein. So arbeiten sie nicht, verdienen uns nichts ab, so schenken und gebens wir ihnen nicht, dennoch haben sie unser Geld und Gut und sind damit unsere Herren in unserem eigenen Land.“
  • Juden „… sind (uns) eine schwere Last, wie eine Plage, Pestilenz und eitel Unglück“.
  • „Darum wisse du, lieber Christ, … dass du nächst dem Teufel keinen bittereren, giftigeren, heftigeren Feind habest als einen rechten Juden …“

All dieser Narrative bedienten sich später die Nazis, die dabei Luther als ihren „Zeugen“ anführten.

Christlicher Rassismus und europäischer Kolonialismus

Mit der Kolonialisierung der Westküste Afrikas begann im 17. Jahrhundert der europäische Sklavenhandel. Afrikanische Sklaven wurden von den europäischen Staaten an den Küsten West-Afrikas zum Anbau von Zuckerrohr, Kaffee, Kakao, Reis, Tabak, Indigo usw. eingesetzt.

Mitte des 17. Jahrhundert wurden afrikanische Sklaven über den Atlantik in die nordamerikanischen Baumwollplantagen und die brasilianischen Goldminen verfrachtet. Viele Tausende Afrikaner starben auf dem Transport. 12 – 15 Millionen afrikanischer Frauen und Männer wurden auf diese Weise nach Amerika verschleppt und in Amerika versklavt.

Zu dieser Zeit entstand die Bezeichnung „Neger“. Dieser Begriff stammt ab von dem spanischen Wort „negro“, das „schwarz“ bedeutet. Das spanische Wort „negro“ war jedoch zugleich das Synonym für „schwarzer Sklave“. Und mit dem französischen Wort „négrier“ wurde der „Sklavenhändler“ bezeichnet.

Mit den europäischen Kolonisatoren zogen die christlichen Priester und Mönche nach Afrika und Amerika. Ihre Aufgabe war es die Schwarzen und Indigenen zu Christen und fleißigen Arbeiter*innen zu erziehen. Um die „Heiden“ zu bekehren und ihnen die „zivilisatorische Arbeitsmoral“ beizubringen, nutzten die christlichen Kolonialherren alle Mittel: Gewalt, Alkohol und Bestechung mit Tand oder Anstellung als Aufseher.

Der Rassismus gegenüber „Schwarzen“ wurde mit der christlichen Lehre legitimiert: Dem religiösen Mythos nach habe Noah alle Nachkommen seines Sohns Ham verflucht, da Ham seinen Vater „nackt schlafen angesehen“ habe. Die Nachfahren Hams sollten den beiden anderen Söhnen Noahs, Sem und Jafet, dienen. Ham gilt seitdem in der christlichen Mythologie als Stammvater der Sklaven und Afrikaner.

Noahs Fluch galt den europäisch-christlichen Kolonisatoren als Begründung für die europäische Überheblichkeit der „weißen Rasse“ und für die Verachtung und angebliche Minderwertigkeit der „schwarzen Rasse“, die keine intellektuellen Fähigkeiten besäße und nur zur Sklavenarbeit zu gebrauchen sei – so der deutsche Gelehrte Horn an der Universität Leyen.

Ende des 1. Teils.

25.4.2021 Dr. Peter Milde

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