FIPS NEWS Nr. 7: Personzentrierte Krisenintervention und Suizidprävention mit Gefangenen – Dokumente Teil 2
Editorial
In FIPS NEWS Nr. 7 werden weitere Dokumente aus dem Jahr 2010 über die Therapie mit suizidgefährdeten Gefangenen veröffentlicht. Es handelt sich um zwei Ausstellungen von Bildern von Gefangenen aus der JVA Weiterstadt im Cafe Bellevue in Darmstadt und in der Stadtbücherei Frankfurt-Nordweststadt und um einen Artikel im „Darmstädter Echo“.
25.11.2019 Dr. Peter Milde
Begrüßungsrede auf der Vernissage „Verschlossene Welten“ im Cafe Bellevue am 15. Januar 2010 in Darmstadt
Wir freuen uns, dass Sie heute mit uns die Eröffnung der Ausstellung „Verschlossene Welten“ feiern möchten. Die Ausstellung wird noch bis zum 13. Februar 2010 hier zu sehen sein.
Vielen Dank an das Cafe Bellevue, dass wir mit dieser Ausstellung hier Bilder von Untersuchungsgefangen ausstellen dürfen. Diese Bilder sind Produkte aus einem freiwilligen Behandlungsprogramm für neu inhaftierte Untersuchungsgefangene, die suizidgefährdet waren.
Ich möchte die Therapeutinnen vorstellen:
Frau Inga Creter sie leitet die kunsttherapeutische Arbeit mit den Gefangenen. Sie ist Kunsttherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Die künstlerisch-kreative Arbeit der Gefangenen ermöglicht diesen in der Gruppe sich über ihre Probleme, ihre Gefühle und ihr Erleben bewusst zu werden. Hierdurch werden Motive zur Veränderung entwickelt.
Frau Christel Werner-Yeboah ist Kunstpädagogin. In ihrer Gruppe stellen die Gefangenen künstlerische Erzeugnisse her, wie Postkarte, die sie dann ihren Angehörigen schicken können.
Frau Eva Leitschuh ist Künstlerin und Grafikerin, die es insbesondere schafft die künstlerischen Fähigkeiten und Ressourcen der Gefangenen zu entwickeln. Schon manch ein Gefangener entdeckte so seine ungeahnten Talente.
Frau Verena Herzberger leitet die Gesprächsgruppe. Sie ist Sozialarbeiterin und freie Journalistin für Sozialpolitik. Im Gruppenprozess erleben die Gefangenen Toleranz, Wertschätzung und Empathie. Sie hören sich gegenseitig zu und können sich gegenseitig helfen und unterstützen.
Mein Name ist Peter Milde, ich bin Sozialarbeiter und Leiter des Behandlungsprogramms.
Wir bieten von Montag bis Freitag täglich ein Gruppenangebot im Umfang von 2 – 3 Stunden täglich. Suizidgefährdete Gefangene nehmen zu Beginn der Inhaftierung für ca. 6 Wochen an dem Projekt teil. Die Gruppe besteht in der Regel aus 6 bis 8 Personen.
Mit der Ausstellung „Verschlossene Welten“ wollen ein Stück des Lebens, der Gefühle, der Bedürfnisse, der Wünsche und Perspektiven der Gefangenen aus einer „verschlossenen Welt“ nach außen bringen. Es ist unser Wunsch mit diesen Bildern etwas vom Leben der Menschen hinter Gitter und ihren Problemen begreifbar zu machen.
Arbeit mit Tätern – auch bei der Unschuldsvermutung für Untersuchungsgefangene – stellt auch für uns Betreuer immer einen Spagat dar, denn diese Menschen, die Probleme haben und Hilfe und Unterstützung benötigen, haben eben eventuell auch anderen Personen Leid zugefügt. Auch uns berührt das Leid der Opfer, auch wenn wir uns konkret den Tätern zuwenden.
Da die Künstler selbst nicht anwesend sind, stellen sich die Fragen: Wer sind diese Menschen? Warum arbeiten wir mit Ihnen in dem Projekt?
Diese Gefangenen
- erleben sich häufig als heraus gerissen aus dem normalen Leben,
- haben häufig Ängste vor dem Verlust ihrer Beziehungen und ihrer sozialen Basis,
- Ängste vor dem Leben im Gefängnis und vor der Zukunft generell,
- erleben Verlust von Autonomie und Selbstbestimmung,
- Zweifeln häufig an sich selbst, erleben Schuld und Scham.
Sie ziehen sich daher häufig zurück, ihr Selbst gerät ins Wanken und angesichts der akuten Konfrontation mit der Tat und der Inhaftierung droht ein psychischer Zusammenbruch.
Die neuere Suizidforschung lässt vermuten, dass ca. 40 % der inhaftierten Männer in den ersten zwei Wochen Suizidgedanken haben. Suizide sind zu Beginn der Inhaftierung und in der Untersuchungshaft überproportional häufig.
Hier setzt die Arbeit des Projekts an:
Mit den Mitteln der kreativen Gestaltung, dem Gespräch darüber, dem Erleben und Erfahren in der Gruppe werden wir beratend, unterstützend und helfend tätig:
- Die eigenen Kräfte und Ressourcen der Inhaftierten werden mobilisiert, damit sie die Lebenskrise überwinden können.
- Sie können wieder Mut und Zuversicht schöpfen, um damit sich ihrer Verantwortung stellen zu können.
- Sie können wieder Ressourcen entwickeln für ihr weiteres Leben im Gefängnis und für die Zeit nach ihrer Entlassung.
Insofern ist unsere Arbeit auch bereits ein Baustein für eine erfolgreiche Resozialisierung.
Die Therapeutinnen werden jetzt ihre Arbeit vorstellen und wir freuen uns auf den anschließenden Austausch.
Einige Aspekte aus den Beiträgen der Therapeutinnen:
Frau Creter verwies auf die Bedeutung des kunsttherapeutischen klientenzentrierten Ansatzes, der es ermöglicht, dass die Gefangenen zur Reflexion über ihr Verhalten und über die Ursache der Inhaftierung gebracht werden.
Frau Werner-Yeboah unterstrich die Bedeutung des Gruppenprozesses, in dem die Männer die Erfahrung machen, wie angenehm und wertvoll es ist, sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen.
Frau Leitschuh betonte den Gesichtspunkt, wie die Männer in der kreativen Arbeit wieder Selbstvertrauen entwickeln und dadurch Mut finden zur Auseinandersetzung mit ihren Problemen und zur gegenseitigen Hilfestellung.
Frau Herzberger hob die Bedeutung der Gruppengespräche gerade zu Beginn der Untersuchungshaft hervor, da in diesem Moment noch ein hohes Maß an Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld und Verantwortung vorhanden ist und dass daher eine Resozialisierung, die auch Tataufarbeitung ist, bereits in der Untersuchungshaft beginnen müsse.
15.01.2010 Peter Milde
Begrüßungsrede auf der Vernissage am 09.03.2010 in der Stadtbücherei Frankfurt-Nordweststadt: „Verschlossene Welten – Kunst aus dem Knast“
Ich möchte alle Gäste, die unserer Einladung zur Eröffnung der Ausstellung „Verschlossene Welten – Kunst aus dem Knast“ gefolgt sind, herzlich begrüßen und für Ihr Interesse danken.
Mein Name ist Peter Milde. Ich bin Diplom-Sozialarbeiter mit der Ausbildung in personzentrierter Beratung und Krisenintervention und der Leiter der Suizidprävention.
Unser Thema ist nicht selbstverständlich und nicht besonders populär, da wir uns mit der Problematik von Tätern, bzw. Tatverdächtigen auseinander setzen. Empathie und Wertschätzung für Täter – wo bleiben da die Opfer, bleiben die dabei nicht auf der Strecke?
Die ausgestellten Bilder sind Produkte aus einem freiwilligen Behandlungsprogramm für neu inhaftierte Untersuchungsgefangene zur Suizidprävention und Krisenintervention. Das Programm hat die etwas ungewöhnliche Bezeichnung „risk assessment“.
Ich möchte kurz die Gruppenleiterinnen vorstellen.
Frau Verena Herzberger leitet die Gesprächsgruppe. Sie ist Sozialarbeiterin und freie Journalistin für Sozialpolitik. Im Gruppenprozess erleben die Gefangenen Toleranz, Wertschätzung und Empathie. Sie hören sich gegenseitig zu und können sich gegenseitig helfen und unterstützen.
Frau Inga Creter leitet die kunsttherapeutische Arbeit mit den Gefangenen. Sie ist Kunsttherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Die künstlerisch-kreative Arbeit der Gefangenen ermöglicht diesen in der Gruppe sich über ihre Probleme, ihre Gefühle und ihr Erleben bewusst zu werden. Hierdurch werden Motive zur Veränderung entwickelt.
Frau Christel Werner-Yeboah ist Kunstpädagogin. In ihrer Gruppe stellen die Gefangenen auch für sich selbst konkret nützliche künstlerische Erzeugnisse her, wie Postkarten, die sie dann ihren Angehörigen schicken können.
Frau Eva Leitschuh ist Künstlerin und Grafikerin, die es insbesondere schafft die künstlerischen Fähigkeiten und Ressourcen der Gefangenen zu entwickeln. Schon manch ein Gefangener entdeckte so seine ungeahnten Talente.
Um welche Arbeit handelt es sich?
Die Krisenintervention hat die Zielsetzung:
- Prävention gegen Suizidversuche und Selbstverletzungen bei Gefangenen;
- Psychische Stabilisierung bei labilen Gefangenen;
- Integration verängstigter und unter einem Inhaftierungsschock stehender Gefangener in den Vollzugsalltag;
- Bewältigung emotionaler und affektiver Krisen im Zusammenhang mit dem Tatvorwurf, der Inhaftierung und der Trennung von Angehörigen und Freunden.
Das Projekt bietet von Montag bis Freitag ein Gruppenangebot im Umfang von 2 1/4 – 3 Stunden täglich an. Die Gefangenen nehmen zu Beginn ihrer Inhaftierung für ca. 6 Wochen an dem Projekt teil. Die Gruppe besteht in der Regel aus 6 bis 8 Personen. Eine Aufnahme von neuen Gefangnen ist jederzeit möglich.
Mit der Ausstellung „Verschlossene Welten“ wollen wir ein Stück des Lebens, der Gefühle, der Bedürfnisse, der Wünsche und Perspektiven dieser Gefangenen aus einer „verschlossenen Welt“ nach draußen bringen. Es ist unser Wunsch mit diesen Bildern etwas vom Leben der Menschen hinter Gitter und ihren Problemen begreifbar auszustellen.
Arbeit mit verdächtigen Tätern – für die als Untersuchungsgefangene bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt – stellt auch für uns Betreuer immer einen Spagat dar, denn diese Menschen, die Probleme haben, Hilfe und Unterstützung benötigen, haben eventuell auch anderen Personen Leid zugefügt. Auch uns berührt das Leid der Opfer, auch wenn wir uns konkret den Tätern zuwenden.
Da die Künstler selbst nicht anwesend sind, stellen sich die Fragen:
- Wer sind diese Menschen?
- Warum arbeiten wir mit Ihnen?
Die Antworten auf diese Fragen sind sehr vielfältig. Auf viele neu inhaftierte Untersuchungsgefangene treffen folgende Punkte zu:
- Diese Gefangenen erleben sich häufig als heraus gerissen aus dem normalen Leben.
- Sie haben häufig Ängste vor dem Verlust ihrer Beziehungen und dem Verlust ihrer sozialen Basis, Ängste vor dem Leben im Gefängnis und vor ihrer weiteren Zukunft.
- Sie erleben durch die Inhaftierung und die restriktiven Regeln in Haft recht einschneidend den Verlust von Autonomie und Selbstbestimmung.
- Sie zweifeln häufig an sich selbst, erleben Schuld und Scham vor dem was sie getan haben, auch wenn sie die Tat (den Tatvorwurf) abwehren, ihn oft erst einmal nicht an sich heranlassen können.
- Sie ziehen sich daher häufig zurück, ihr Selbst gerät ins Wanken und angesichts der akuten Konfrontation mit der Tat und der Inhaftierung droht gerade bei Erstinhaftierten und in der ersten Zeit der Inhaftierung ein psychischer Zusammenbruch. Die Suizidgefahr ist besonders hoch.
Die neuere Suizidforschung nimmt an, dass ca. 40% der inhaftierten Männer in den ersten zwei Wochen Suizidgedanken haben. Suizide sind zu Beginn der Inhaftierung und in der Untersuchungshaft überproportional häufig. Von 467 Suiziden von Inhaftierten in deutschen Gefängnissen wurden in dem Zeitraum von 2000 bis 2004 in der Untersuchungshaft 57,8% begangen, obwohl die Untersuchungshaft nur ca. 18% der Haftarten ausmacht. In den ersten drei Monaten der Inhaftierung wird fast die Hälfte der Suizide begangen.
An dieser hohen Gefährdung setzt unsere Arbeit an, die meines Wissens in dieser speziellen Art in der Untersuchungshaft ein Novum ist.
Mit den Mitteln der kreativen Gestaltung, dem Gespräch über die Gefühle und den Austausch über das Erleben und Erfahren in der Gruppe werden wir beratend, unterstützend und helfend tätig. Dies wirkt auf die psychische Situation der Gefangenen stabilisierend:
- Dadurch mobilisieren die Gefangenen ihre Kräfte und Ressourcen, um die Lebenskrise zu überwinden.
- Dadurch schöpfen sie wieder Mut und Zuversicht, um sich der Verantwortung zu stellen.
- Dadurch entwickeln sie eine Perspektive für ihr weiteres Leben imGefängnis und für die Zeit nach ihrer Entlassung.
Insofern ist unsere Arbeit in diesem Projekt auch bereits ein erster Baustein für eine erfolgreiche Resozialisierung.
Zum Abschluss, bevor ich das Wort an die Mitarbeiterinnen des Projekt weitergebe, möchte ich noch mal einen Bogen spannen ausgehend von aktuellen gesellschaftliche Diskussionen hin zu dem Nutzen, den unsere Arbeit mit den Tätern für die Gesellschaft hat.
In unserer Broschüre heißt es dazu, warum wir diese Arbeit tun u.a., weil Täter oft auch Opfer sind.
Dies provoziert mitunter zum Widerspruch, denn unsere Klienten sind in der Regel Mörder, Totschläger, Vergewaltiger, Täter von sexuellem Missbrauch, aber auch von weniger schweren Verbrechen und Delikten.
Eltern fragen sich mit Recht, warum und weshalb junge Menschen zu Amokläufern in Schulen werden und ihre Kinder töten. Und wir fragen uns aktuell wieder, wie es sein kann, dass Pfarrer, Lehrer, Erzieher die ihnen anvertrauten Kinder demütigen oder gar sexuell missbrauchen.
Sicherlich ist die Antwort nicht einfach, sondern es sind immer mehrere Gründe, die hier zusammen kommen.
Aber seelische Kränkungen, Verletzungen, Missachtungen, Demütigungen und Mobbing, wenn nicht gar körperliche Verletzungen und sexueller Missbrauch oder Vernachlässigung und Verwahrlosung und ein Gefühl der Nutzlosigkeit und Perspektivlosigkeit lassen sich in der Biographie von Tätern häufig nachweisen. Unsere Erfahrungen bestätigen dies.
Strafe – Wegsperren alleine – bringt zwar Sicherheit vor einem bestimmten Täter und erfüllt auch manches Bedürfnis nach Rache in Medien und Öffentlichkeit.
Doch die humanistische Verantwortung der Gesellschaft den Opfern gegenüber bedeutet für den Umgang mit (potentiellen) Tätern zweierlei:
Es muss alles getan werden, dass Menschen nicht zu Tätern werden. Täter müssen die Chance erhalten, sich zu ändern und sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
An der zweiten Aussage knüpfen wir an:
Wir verstehen unsere Arbeit als Krisenintervention in einer frühen Phase der Inhaftierung zum Zeitpunkt der Ermittlung der Schuld, des Strafverfahrens und der Verurteilung, da zu diesem Zeitpunkt die Bereitschaft zur Auseinandersetzung bei den Tätern (Tatverdächtigen) mit sich selbst, mit der Tat und den Folgen für die Opfer unserer Erfahrung nach am Höchsten ist. Die Betroffenheit der Täter, die zu Beginn der Inhaftierung die Folgen der Tat am eigenen Selbst oft schmerzlich erleben und Unterstützung benötigen, lässt sie zu Beginn aber auch ahnen, was sie bei den Opfern ausgelöst haben.
Das kann unserer Erfahrung nach das Tor sein auf einem mitunter langen Weg, der zur Veränderung der Persönlichkeit des Täters führen kann und ihm damit die Chance gibt, sich in die Gesellschaft wieder zu integrieren.
Ich gebe das Wort weiter an die Mitarbeiterinnen, die über ihre konkrete Arbeit berichten möchten.
09.03.2010 Peter Milde