November/Dezember 2022 – FIPS-NEWS Nr. 50: Antimilitarismus, Antinationalismus und der Krieg in der Ukraine

1.

FIPS unterstützt internationale Begegnungen und fördert das gegenseitige Verständnis für die Kultur, die Sprache und die Interessen ihrer Teilnehmer:innen. Die von uns mit veranstalteten oder unterstützten internationalen Begegnungen und Seminare zur politischen Bildung haben ökologische, antinationalistische, antirassistische und antifaschistische Zielrichtungen. Im Mittelpunkt steht die unvoreingenommene Begegnung, die Freundschaft und die Verständigung über sonstige ideologische, nationale und politische Schranken hinweg.

FIPS versteht die, die internationalen und interkulturellen Grenzen überwindenden Begegnungen – angesichts der NS-Verbrechen – auch als einen Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben bei Achtung unterschiedlicher Nationalität und im Bewusstsein, dass nazistische und faschistische Kräfte in keinem Land Europas mehr die Geschicke der Völker bestimmen sollten. In unserer politischen Bildung nimmt daher der Kampf gegen rassistische und nazistische Ideologie und die Auseinandersetzung mit der verbrecherischen Rolle Deutschlands im 2. Weltkrieg und die Erinnerungsarbeit einen breiten Raum ein. Nie mehr sollten Soldat:innen aus Deutschland oder anderswo als Kanonenfutter missbraucht werden oder Leid über andere Völker bringen können.

Die Älteren von uns engagierten sich bereits während des sogenannten „Kalten Krieges“ in der Anti-Atombomben- und der Anti-Kriegsbewegung und lehnten jegliche Aufrüstung im Bewusstsein ab, dass diese letztlich erneutes Leid und Trauer für die Betroffenen bedeuten wird.

Der Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens, die Einbindung der ehemaligen DDR in ein großes Deutschland und die Abschottung (u.a. durch Mauern, Zäune, Frontex, Zurückweisungen an den Außengrenzen der EU, Behinderungen der im Mittelmeer von Hilfsorganisationen eingesetzten Rettungsschiffe) europäischer Länder gegenüber Geflüchteten u.a. aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, aus Afghanistan, Irak, Syrien und Nordafrika haben in Deutschland und in anderen europäischen Ländern zum Erstarken von Nationalismus und neuer rechter oder gar nazistischer Parteien und Organisationen beigetragen. Diese Entwicklung bereitete den Boden für die Ausbreitung rassistischer und antisemitischer Attacken und Morde in Deutschland. Dem setzen wir die Solidarität mit Geflüchteten jeglicher Nationalität entgegen.

FIPS engagiert sich gegen mörderischen Rassismus, gegen Juden- und Fremdenhass in Deutschland und demonstrierte zusammen mit dem Netzwerk „Wilden Rose e.V.“ die Solidarität mit den Überlebenden und Angehörigen des rassistischen Mordes an neun HanauerInnen am 19. Februar 2020, dessen genauen Umstände bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind.

FIPS setzt sich für Völkerverständigung und ein friedliches Zusammenleben aller Völker ein und lehnt daher jegliche Aufrüstung, Waffenexporte und Militäreinsätze im Ausland ab. Hinsichtlich kriegerischer Überfälle auf andere Länder und räuberischer Kriege zwischen Staaten sind wir radikale Pazifisten.

Ehemalige und aktive Bundeswehr-Generäle mischen sich in politische Entscheidungen ein und verbreiten ihre militaristischen Vorschläge in den Medien Deutschlands. Zusätzlich zu den jährlich über 50 Milliarden EURO Militärausgaben bewilligte der Deutsche Bundestag 2022 weitere 100 Milliarden EURO für die Aufrüstung der Bundeswehr. Militärs und Politiker fordern medienwirksam immer mal wieder die Einführung eines Arbeitsdienstes für Schulabgänger:innen sowie die Wiedereinführung der Wehrpflicht für Jungen und Mädchen im Alter ab 18 Jahren.

FIPS vertritt anknüpfend an Theodor Adornos Forderungen an eine Pädagogik nach Auschwitz eine Erziehung zur Friedfertigkeit und zur Freundschaft mit allen Völkern. Militärdienst und ein Arbeitsdienst für den Kriegsfall stehen einer solchen Erziehung diametral entgegen.

Von Lencer – own work, used:Ukraine_adm_location_map.svg by User:NordNordWestUkraine_2022-02-21.svg by User:NordNordWestReliefkarte_Ukraine.png by User:TschubbyListe der Städte in der Ukraine, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=115649203

2.

Wir verabscheuen den Krieg in der Ukraine und solidarisieren uns mit den leidgeprüften Völkern der Ukraine, die bereits seit 2014 unter einem Bürgerkrieg im Osten des Landes zu leiden haben. Dieser Bürgerkrieg und der seit fast einem Jahr wütende Krieg brachte und bringt massenhafte Tote, landesweite Zerstörung, Elend und Flucht für Millionen von Menschen. Er entfachte und entfacht Nationalismus in der Ukraine und in Russland. Völker, die ehemals Freundschaft verband, werden zunehmend nationalistisch aufgehetzt und stehen sich feindlich gegenüber.

Wir verurteilen den Überfall Russlands auf die Ukraine, der unsägliches Leid über die Völker der Ukraine bringt. Wir verurteilen jedoch auch Waffenlieferungen an die Regierung in Kiew, die diesen Krieg nur verlängern und zusätzliches Leid und zusätzliche Opfer bringen. Diese Waffenlieferungen bedeuten zugleich riesige Gewinne für die Rüstungskonzerne. Durch Kredite wird die Ukraine auf Jahrzehnte gegenüber ausländischen Konzernen und Regierungen verschuldet sein.

Milliarden Kriegsgewinne machen zudem nicht nur diejenigen Staaten und Konzerne, bei denen der deutsche Staat und die deutschen Konzerne jetzt vermehrt fossile Energieträger einkaufen, sondern ungeheure Gewinne machen auch die Energiekonzerne in Deutschland durch die Verteuerung der Energielieferungen an die Verbrauchen und riesige zusätzliche Einnahmen macht der deutsche Staat durch die mit der Teuerung zugleich gestiegenen Steuereinnahmen etwa aus der Mehrwertsteuer und den Steuern auf Energie.

Hingegen erlebt die große Masse der Lohnarbeiter:innen in Deutschland erstmals seit Jahrzehnten wieder eine absolute Verelendung durch eine ca. 10%ige Steigerung der Preise der täglichen Lebenshaltungskosten im Jahr 2022 gegenüber dem Jahr 2021.

3.

Die Mehrheit der Bevölkerung im Donbas verstand und versteht sich als „Russ:innen“ und lehnte den Sturz der Regierung Janukowitschs im Februar 2014 und die eingesetzte „Übergangsregierung“ in Kiew ab, u.a. weil Politiker der rechtsradikalen Partei „Swoboda“ in dieser „Übergangsregierung“ 2014 den stellvertretenden Ministerpräsidenten, zwei Minister und den Generalstaatsanwalt stellten. Die dadurch im Februar und März 2014 ausgelösten separatistischen Aktionen im Donbas und das militärische Vorgehen der rechten paramilitärischen Truppen dagegen lösten einen Bürgerkrieg im Osten der Ukraine aus, in den auch die Soldaten Russlands und der Ukraine eingriffen.

Im Laufe des Jahres 2014 flüchteten ca. 1 Millionen Bewohner:innen des Donbas in den Rest der Ukraine und ebenfalls ca. 1 Millionen Menschen nach Russland. Die von den Separatisten seither besetzten Gebiete an der Grenze zu Russland sind weitgehend zerstört, die Wirtschaft liegt danieder und die Bevölkerung lebt in Armut.

Russland nutzte die Lage der Ukraine im Frühjahr 2014 als eines sog. „failed state“, um die Krim zu besetzen und sie in den russischen Staat einzugliedern. Hierbei stützte sich Russland auf seine angeblichen „historischen“ Rechte an der Krim ungeachtet dessen, dass Grenzen noch niemals für alle Ewigkeit zementiert waren und auch jetzt und zukünftig nicht sein werden.

Unter der Vermittlung der EU, insbesondere Frankreichs und Deutschlands, wurden sog. Minsker Abkommen zwischen der Ukraine und Russland geschlossen. Diese sahen einen Waffenstillstand und die Änderung der Verfassung der Ukraine vor, damit die mehrheitlich von Russ:innen bewohnten Gebiete des Donbas eine weitgehende Autonomie erhalten. Bis 2021 wurde der Waffenstillstand tausende Male gebrochen und beide Seiten schoben sich die Schuld zu. Eine Autonomie wurde der Bevölkerung im Donbas von den Regierungen in Kiew versagt.

Auch im jetzigen Krieg Russlands gegen die Ukraine sind die nationalistischen paramilitärische Truppen der Ukrainischen Nationalgarde, zu der auch das Asow-Regiment gehört, wichtige Akteure mit Tausenden von gut ausgebildeten und gut bewaffneten freiwilligen Soldaten. Sie und die „Swoboda“-Partei, die auch großen Einfluss auf andere Parteien und in den staatlichen Organen der Ukraine haben, verstehen sich als Nachfolger der von dem Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera befehligten ukrainisch-nationalistischen faschistischen Truppen, die im 2. Weltkrieg an der Seite NS-Deutschlands gegen die Rote Armee gekämpft und sich an Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung in der Ukraine beteiligt hatten. Heute verbinden die paramilitärischen und rechten politischen Organisationen der Hass gegen das russische Volk und die russische Bevölkerung in der Ukraine. Doch auch über das rechts-faschistische Spektrum hinaus wird der Faschist und Antisemit Stepan Bandera – vor allem in der Westukraine – als nationaler Held gefeiert.

Russland wiederum nimmt die nationale Unterdrückung der Russ:innen im Donbas und auf der Krim einerseits und seinen nationalistischen „Anspruch“ auf „urrussische“ Gebiete in der Ukraine andererseits zum Vorwand, seinen Krieg gegen den ukrainischen Staat als angeblich „antifaschistischen“ Krieg zu rechtfertigen, während die Besetzung der Krim 2014 und der Krieg seit Februar 2022 gegen die Ukraine selbst großrussisch-chauvinistische und faschistische Politiker und Eliten anzettelten.

4.

Der jetzige Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nicht der erste Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, der Tod, Leid und Zerstörung in der Zivilbevölkerung verursacht.

Bereits das Bombardement im Frühjahr 1999 von 19 NATO-Mitgliedsstaaten, darunter auch dem „rot-grün“ regierten Deutschland, gegen militärische und zivile Ziele in Serbien haben viele Menschen, darunter auch Völkerrechtler, als Unrecht verurteilt, da ihm ein UN-Mandat fehlte und ein Bündnisfall der NATO nicht gegeben war. Neben der großen Zerstörung von öffentlichen Gebäuden, Industrieanlagen und Wohngebäuden wurden die Todesopfer auf 3.500 und die Verletzten auf ca. 10.000 geschätzt.

Seit den 90er Jahren hat sich die Nato sukzessive nach Osten und Südosten Europas ausgedehnt. Seit 2011 finden etwa NATO-Manöver unter dem Namen „Saber Strike“ (Säbelhieb) in den Baltischen Staaten und Polen statt. 2018 simulierte das Manöver eine Schlacht mit Belarus und Russland. Ab 2021 hielten sich dauerhaft mehrere Tausend NATO-Soldaten in der Ukraine zu Ausbildungs- und Übungszwecken auf. Das Manöver „Saber Strike“ fand kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ab dem 1. März 2022 mit 13.000 Soldaten aus 13 Nationen in der Slowakei nahe der Grenze zur Ukraine statt.

Europa gerät seit Jahrzehnten erneut immer mehr in den Strudel von Aufrüstung und Konfrontation der globalen Großmächte und damit an den Rand eines noch viel größeren Krieges. Russland hat aufgerüstet und in Syrien sein Militär auf Krieg getrimmt. Die Militärausgaben der Staaten der EU überstiegen bereits bis Anfang 2022 diejenigen von Russland erheblich. Entgegen allen Versprechungen Anfang 2022 lieferte die Bundesregierung im Laufe des Jahres 2022 Militärgerät von weit über 2 Milliarden EURO an die Ukraine und beteiligt sich damit an Tod und Leid. Der Tod aus deutschen, englischen oder französischen Waffen ist nicht weniger „schlimm“ als derjenige aus russischen Waffen.

Und längst bekommt man den Eindruck, dass sich offenbar verschiedene Großmächte auf weitere und größere militärische Konfrontationen vorbereiten. Weltweit entwickeln sich gegensätzliche ökonomische Interessen und brechen alte und neue Konfliktherde auf, die das Potential einer kriegerischen Dynamik enthalten.

5.

Antimilitaristische Aktivist:innen in Russland und Belarus engagierten und engagieren sich auf vielfältige Weise gegen den militärischen Überfall auf die Ukraine und werden von russischen und belarusischen „Sicherheits“kräften massenhaft verfolgt und eingesperrt. Aktuell sind acht belarusische Bürger:innen verhaftet worden, weil sie zu Beginn des Krieges Sabotageakte an der belarusischen Eisenbahn verübten, um Transporte russischer Militärgüter zu verhindern. Deserteure der russischen oder ukrainischen Armee oder ins Ausland fliehende junge Männer, die sich ihrer Mobilisierung für den Krieg entziehen wollen, werden sowohl in Russland als auch in der Ukraine verfolgt.

FIPS unterstützt die Hilfsbereitschaft den Geflüchteten gegenüber – egal welcher Nationalität. Russ:innen wie Ukrainer:innen – sofern sie keine Faschisten und Kriegstreiber sind – sind uns gleichermaßen willkommen.

Wir erleben in Deutschland jedoch Diskriminierungen gegen wirkliche und angebliche „Russ:innen“, seien es nach Deutschland geflüchtete russische Ukrainer:innen oder seien es bereits vor Jahren nach Deutschland eingewanderte deutsche oder jüdische Russ:innen. Besonders perfide sind Diskriminierungen gegen russischsprachige Kinder und Jugendliche, die sicherlich überhaupt keine Schuld an Bürgerkrieg und Krieg trifft. Wir verurteilen entschieden alle Formen von Pöbeleien, Anfeindungen und Angriffe von Deutschen gegen „Russ:innen“. Sofern junge Russen sich ihrer Mobilisierung zum Krieg durch Flucht nach Deutschland entziehen, werden sie gezwungen sich hier als Asyl Suchende zu melden und in Lagern zu leben, um nicht ausgewiesen zu werden.

Wir sind empört über die „Zwei-Klassen“ von Geflüchteten in Deutschland: Während vor Tod, Zerstörung und Elend etwa aus Syrien, Afghanistan oder aus afrikanischen Ländern Geflüchtete in Deutschland ein bürokratisches Asylverfahren durchlaufen und jahrelang in Wohnheimen oder in Lagern untergebracht werden und nicht arbeiten dürfen, können Geflüchtete aus der Ukraine sofort nach ihrer Einreise in Deutschland freizügig reisen, arbeiten und wohnen. Es zeigt sich, dass – wenn der politische Wille da ist – Geflüchtete wie Menschen behandelt werden. Wir setzen uns daher dafür ein, dass alle vor Verfolgung, Krieg, Hunger, Armut und ökologischen Katastrophen Geflüchtete, so behandelt werden, wie die jetzt aus der Ukraine Geflüchteten.

30. Dezember 2022 Dr. Peter Milde

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