FIPS NEWS Nr. 5: Lernen aus der Geschichte der Juden auf Korfu für den Kampf gegen Judenfeindschaft heute
Editorial
Anschläge auf Synagogen, judenfeindliche Schmierereien an Wohnhäusern und Mahnmalen, direkte Angriffe gegen Jüdinnen und Juden, judenfeindliche Beleidigungen und als Anti-Zionismus getarnte Judenfeindschaft nehmen derzeit in Deutschland landesweit zu. Diese Judenfeindschaft fügt sich ein, in eine in der Bevölkerung sich ausbreitenden Stimmung gegen als fremd und andersartig stigmatisierte Menschen. Die Ausgrenzung funktioniert auf vielen Ebenen in Deutschland wieder, seien es Menschen anderer Religion, anderer Hautfarbe, anderer Ethnie oder anderer sexueller Orientierung.
Es scheint als hätten große Teile der deutschen Bevölkerung aus der Diskriminierung, Ausgrenzung und Vernichtung angeblich Fremder und angeblich Andersartiger in NS-Deutschlands nichts gelernt oder wollten daraus nichts lernen. Die ideologische Verwandtschaft mit den sich heute überlegen fühlenden Deutsch-Völkischen über Menschen anderer ethnischer Abstammung, anderer Religionen, usw. ist verblüffend. Die Methode der generalisierten Verleumdung funktioniert ebenfalls wieder im breiten Maßstab: Es wären die Juden, die Zionisten, die angeblich im Geheimen die Finanzen und die Geschicke der Welt dirigierten. Oder: Die Muslime wären angeblich gewalttätig, frauenfeindlich, demokratiefeindlich oder gar minderwertig.
Wenn wir uns in diesem Newsletter mit der Geschichte der Juden auf der griechischen Insel Korfu befassen, könnte man meinen, wir wären geschichtsversessene Spezialisten. Dem ist aber keinesfalls so. Warum? Wir dürfen Geschichte nicht allein als etwas Vergangenes betrachten. Wir können und sollten aus der Geschichte für die Gegenwart und Zukunft lernen. Was unsere Eltern, Großeltern oder noch weiter zurückliegende Vorfahren erlebten, wie sie Ökonomie, Gesellschaft, Politik und Kultur gestalteten, was sie dachten und wie sie fühlten, ist und bleibt keinesfalls immer Geschichte. Wir selbst sind Erben dessen und daher nicht frei von diesen in der Vergangenheit geschaffenen Traditionen, Gewohnheiten, Mythen, Abneigungen und Vorurteilen. So gesehen ist es daher gar nicht mehr so verblüffend, wenn alte Vorurteile, alte Feindschaften und alte Ideologien bis heute fortleben, wenn auch manchmal in neuer Gestalt und mit neuen Begriffen. Dies zeigt uns, dass mit diesem Ballast offensichtlich nicht ausreichend und radikal genug gebrochen wurde.
So lebt die Judenfeindschaft auch heute noch unter dem Narrativ des angeblichen Reichtums der Juden ebenso fort, wie sich das judenfeindliche Narrativ des angeblich verschwörerischen Weltjudentums heute verbindet mit dem Narrativ des angeblich verschwörerischen und aggressiven Zionismus der Israelis. Diese judenfeindliche Demagogie und judenfeindliche Politik zu erkennen und zu bekämpfen, dazu kann die Beschäftigung mit der Geschichte der Judenfeindschaft beitragen, ganz im Sinne der Forderung Theodor W. Adornos, „dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung“ (Adorno, Erziehung nach Auschwitz, 1966).
07.08.2019 Dr. Peter Milde
Vorbemerkung
zu Kostas Dafnis: „Die Juden auf der Insel Korfu – Die Chronik einer 700 jährigen Geschichte“, Korfu 1978 (gr.); deutsche Übersetzung von Dr. Theologia Traka, veröffentlicht in: Wilde Rosen Blätter, Ausgabe 004/2017, Schwalbach im Taunus 2017.
„Wir Kinder versteckten uns vor den deutschen Soldaten außerhalb des Dorfes. Einige, die dabei erwischt wurden, als sie heimlich ins Dorf schlichen, wurden von den Deutschen erschossen.“ So berichtete uns eine Überlebende, die die Besatzung der NS-„Herrenmenschen“ in Korfu als Kind erlebte. Beschämend waren auch die Gespräche mit Griechinnen und Griechen in Paramythia über die Morde, Vergewaltigungen und Brutalitäten der „Edelweiß-Division“ der NS-Gebirgsarmee im Epirus, die im deutschen Namen begangen wurden.
In einem Gespräch mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Kerkyra/Korfu erfuhren wir, dass die unter der NS-Besatzung drangsalierten und geschundenen korfiotischen 2000 Juden von den deutschen NS-Besatzern im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert wurden. Von ihnen überlebten 150 korfiotische Juden, von denen die Hälfte nach Korfu zurückkehrte und die jüdische Gemeinde wieder aufbaute, die heute aus ca. 60 Personen besteht. „Die Welt darf niemals die Bösartigkeit vergessen, die den unschuldigen Opfern mit diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auferlegt wurden.“ Dieses Zitat stammt aus der kleinen, englisch-sprachigen Broschüre, „The History of die Jewish Community of Corfu“, The Jewish Community of Corfu, 2016, die uns die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Kerkyra/Korfu gaben. Hier erhielten wir auch zum besseren Verständnis diese Broschüre, die der korfiotische Journalist und Heimathistoriker Kostas Dafnis in den 70er Jahren im Auftrag des Vorstands der Jüdischen Gemeinde Korfus verfasste. Kostas Dafnis wurde 1911 in Korfu geboren. Zeit seines Lebens war er als Publizist, Herausgeber und Verleger von Zeitungen und Zeitschriften in Athen und Korfu tätig. Während der italienischen Besatzung war er wegen Widerstandes in mehreren Lagern interniert. Nach dem Krieg veröffentlichte er zahlreiche Bücher und Aufsätze zu historischen und literarischen Themen. Er starb 1987 in Korfu.
Dies waren nur einige der beklemmenden und mich wütend machenden Eindrücke, die ich aus dem im November 2016 in Korfu durchgeführten internationalen Fachkräfteaustausch der Wilden Rose e.V. zum Thema „Die Rolle Deutschlands im Zweiten Weltkrieg in Griechenland/Korfu“ mitnahm in ein Deutschland, das bis heute die ehrliche Täterverantwortung durch Sühne und Reue, durch Entschädigung und Reparationen gegenüber der griechischen Bevölkerung verweigert, jedoch selbst an der „Traditionspflege“ der Gebirgsjäger festhält.
Dies alles kam mir wieder in den Sinn, als ich es übernahm, eine Vorbemerkung zu verfassen zu der deutschen Übersetzung der vom Vorstand der jüdischen Gemeinde Korfus 1978 in Korfu herausgegebenen und von Kostas Dafnis verfassten Schrift, „Die Juden auf der Insel Korfu – Die Chronik einer 700 jährigen Geschichte“.
Zugleich stellte ich mir die Frage: Wie kann es gelingen, Jugendliche in Deutschland zu motivieren, sich mit dieser sehr spezifischen historischen Schrift über die Geschichte der Juden in Korfu auseinander zu setzen?
„Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“ (Theodor W. Adorno, Erziehung nach Auschwitz, 1966).
Wir sollten daher diese Schrift nicht als ein bloßes historischen Dokument verstehen, sondern darin auch Anknüpfungspunkte für die aktuelle Auseinandersetzung mit Judenfeindschaft, mit Feindschaft gegen Muslime, gegen Farbige und gegen Fremde suchen. Aus der bereits zitierten Schrift lenkt Adorno unser Augenmerk vor allem auf das Verstehen dass „im Zivilisationsprinzip selbst die Barbarei angelegt ist“.
Die Entwicklung und die Ursachen der Judenfeindschaft speziell in Korfu zeigt der nachfolgende Text anhand des historischen, mit Quellen belegten Materials gut auf.
So finden wir Hinweise auf judenfeindliche Ausschreitungen, die christlich-religiös motiviert und Ausdruck einer christlichen Überheblichkeit waren (etwa das Schänden der jüdischen Friedhöfe, die Ausgrenzung und Diskriminierung durch das Tragen von gelben Hüten oder Plaketten, der Zwang sich in einem jüdischen Viertel niederzulassen und aufzuhalten, das Verbot Land zu pachten, die Vorschrift religiöse Feierlichkeiten nur in der Synagoge abzuhalten).
Gegen diese christlich motivierte Judenfeindschaft konnte der Wille der jüdischen Gemeinde zur Integration in die korfiotische Gesellschaft nichts ausrichten. Im Gegenteil. Die Ökonomie Korfus entwickelte sich von einer auf dem Grundbesitz der feudal-adligen Aristokratie allein aufbauenden Gesellschaft unter venezianischer Herrschaft hin zu einer auf Handelskapital aufbauenden Gesellschaft, in der neben der feudalen Aristokratie ein reiches, oft aus der Aristokratie stammendes Handelsbürgertum, das eine große Menge von Geldkapital angehäuft hatte, die Geschicke des Landes lenkten. Da blieb es nicht aus, dass auch aus der jüdischen Gemeinde heraus, die auf Integration in die korfiotische Gesellschaft setzte, auch einzelne jüdische Familien zu Reichtum gelangen konnten.
Die in der bürgerlich-kapitalistischen Ökonomie sowieso vorherrschende Konkurrenz unter den Geschäftsleuten verband sich nun mit der bereits verbreiteten christlichen Judenfeindschaft. Die korfiotischen christlichen Kaufleute, getrieben von ihrem bürgerlichen Egoismus und Gewinnstreben, neideten einigen wenigen jüdischen Kaufleuten ihren wirtschaftlichen Erfolg und wollten aus Geldgier und Geiz ihren jüdischen Konkurrenten schaden. So nutzten christliche korfiotische Kaufleute die verbreiteten antijüdischen christlich-religiösen Vorurteile aus, um lästige jüdisch-korfiotische Kaufleute möglichst aus dem Weg zu räumen – wie im Text am Beispiel der Machenschaften der christlich-korfiotischen aristokratischen Familie des Spiridon Vulgaris gegen die jüdisch-korfiotische Familie Vivante aufgezeigt wird.
Der Text belegt weiter, dass mit der juristischen Emanzipation der korfiotischen Juden durch die napoleonisch-französische Besatzung und endgültig 1864 durch die Vereinigung Korfus mit Griechenland der judenfeindliche Spuk keineswegs vorbei war. Nun waren es zusätzlich griechisch-nationalistische politische Eliten, die sich selbst zu einem „Antisemitismus“ bekannten, der sich bei allen judenfeindlichen Mythen und Stereotypen bediente: angefangen von den christlichen Verleumdungen, dass Juden die Christen als religiöse Menschenopfer darbrächten, über die Diffamierung der korfiotischen Juden als Fremde und Nichtgriechen, die unfähig zur Integration seien, bis hin zum Schüren eines bürgerlichen Konkurrenzneids gegen jüdische Kaufleute. Dies kulminierte 1891 in von den Nationalisten angezettelten judenfeindlichen Ausschreitungen in Korfu-Stadt.
Die Studie zeigt auf der Grundlage der Dokumente und der Berichte, wie gründlich und perfide die NS-Besatzer die Deportation und Vernichtung der korfiotischen Juden planten und durchführten. (Allerdings werden die Motive des NS-Oberst Jäger, der angesichts der operativen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Deportation für deren Verschiebung eintrat, zu positiv beurteilt). Hierzu sei auch auf die „Wilde Rosen Blätter“, Ausgabe 003/2016 mit dem Titel „Die Rolle Deutschlands im 2. Weltkrieg in Griechenland“ hingewiesen.
Wie man dem Text entnehmen kann, war ein Bestandteil der Demagogie der Judenfeinde, Juden pauschal als Besitzer des Geldkapitals anzugreifen und ihnen z.B. die Schuld an ökonomischen Krisen zuzuschieben.
Im Text wird gegen diese demagogische Hetze nicht überzeugend genug argumentiert. So schreibt der Autor:
„Der venezianische Gouverneur war gezwungen, diese Maßnahmen (Verbot Land und Werkstätten zu pachten, nur in festgelegten Bezirken Wohnung zu nehmen, Verbot der religiösen Feierlichkeiten außerhalb der Synagoge – Einfügung in der Klammer von mir) auf Druck der christlichen Bevölkerung zu ergreifen, die den wirtschaftlichen Erfolg der Juden mit Missgunst und Neid wahrnahmen. Dieser Missgunst gaben einzelne Juden Nahrung, die zu Reichtum gelangt, sich gegen die Verbote außerhalb des jüdischen Viertels niederlassen wollten. Das führte zu einem Aufstand der christlichen Bevölkerung.“
Hier wird einem alten und weit verbreitetem judenfeindlichen Narrativ versucht entgegenzutreten, was jedoch missglückt. Der Autor fällt hier quasi auf die demagogische Frage herein, „gib doch zu, dass es reiche Juden gibt“, und da der Autor dies nicht bestreiten kann, gesteht er zu, dass die sich gegen die Juden richtende Aggression der christlichen Bevölkerung doch irgendwie zu verstehen sei. In den Augen der Judenfeinde haben Juden eben ökonomisch nicht erfolgreich zu sein. Gegen diese Demagogie von „den reichen Juden“, ist aufzuzeigen, dass Reichtum eine ökonomische Kategorie ist, die unabhängig von Religion oder von ethnischer Zugehörigkeit der betreffenden Person auftritt und das Ergebnis ihres ökonomischen Handelns auf der Basis der bestehenden ökonomischen Ordnung ist. So kann die Demagogie von den „reichen Juden“ nicht die Ursache eines Aufstands der christlichen Bevölkerung gegen die jüdische Bevölkerung sein, sie ist hingegen Ausdruck eines tief verankerten Judenhasses, der sich nur einen Vorwand sucht, um – wie Adorno in seiner oben bereits zitierten Schrift aufzeigte – den aufgehetzten Mob dazu zu ermuntern, die Juden „fertigzumachen“, damit diffuses Unbehagen gegen die etablierte Ordnung sich in Ausschreitungen „gegen noch Schwächere“ entladen kann.
An einer anderen Stelle im Text zitiert der Autor zustimmend eine ca. zweieinhalb Seiten lange Passage aus einem Zeitungsinterview des in Korfu bekannten jüdischen Arztes und Ratsherren Viktor de Semos über die Gründe der judenfeindlichen Ausschreitungen 1891. Auf diese Passage trifft auch das oben Gesagte zu. Denn auf die judenfeindliche Demagogie vom „reichen Juden“ fällt Viktor de Semos herein, wenn er über den „Antisemitismus“ sagt: „Ich verstehe, ohne ihn zu rechtfertigen“, und als Argumente für sein „Verstehen“ führt er an, die angeblichen „Millionen von jüdischen Bankiers die Franzosen terrorisieren“, die Juden in England, die angeblich „die Börse erobert haben“, dass sich in Österreich angeblich 90% der wichtigsten ökonomischen Bereiche in „jüdischen Händen befinden“ und dass in Deutschland die Juden angeblich „eine bedeutende politische Macht erworben hatten“.
Das Motiv des zitierten Verfassers ist sicher ehrlich, er will den Judenfeinden argumentativ entgegentreten, doch er geht in die gleiche, oben aufgezeigte judenfeindliche Falle. Ja, er wiederholt deren falsche Übertreibungen, ohne diese zurückzuweisen. Und ob Juden Banken, Betriebe besitzen oder öffentliche Ämter einnehmen oder nicht, ist völlig ohne Belang. Es ist ein judenfeindliches demagogisches Narrativ und dient den Judenfeinden zur Hetze gegen die jüdische Bevölkerung. „Verständnis“ für die Judenfeinden und ihre judenfeindlichen Handlungen aufzubringen, weil Juden tatsächlich auch Besitzer von Banken, Betrieben sind oder öffentliche Ämter besetzen, ist genauso falsch, als hätte man aus den gleichen Gründen Verständnis für Ausschreitungen gegen Christen, Moslems, Israelis, Saudis oder Deutsche, weil sie reich sind, o.ä. Juden- und Fremdenfeinde argumentieren mit der Zugehörigkeit der angegriffenen Person oder Personengruppe zu einer Ethnie, einer Religion oder einer Nationalität. Ein judenfeindliches oder auch ein fremdenfeindliches Narrativ quasi immanent widerlegen zu wollen, sich irgendwie auf die Argumentationsebene der Juden- oder Fremdenfeinde zu begeben, ist unmöglich, weil es z.B. immer auch Reichtum in jeder Religion, in jeder Nationalität usw. gibt, weil Reichtum keine Frage von Ethnie, Nationalität oder Religion ist. – Gerade eine solche judenfeindliche Argumentation begegnet uns heute auch in Deutschland häufig.
Ich hoffe einige Anregungen zur Diskussion des Textes gegeben zu haben.
Im August 2017, Dr. Peter Milde
Die Studie von Kostas Dafnis wurde auf deutscher Sprache veröffentlicht in:
Die Geschichte der Jüdischen Gemeinde von Korfu 1
Das jüdische Leben in Korfu geht zurück auf die Zeit Mitte bis Ende des 12. Jahrhunderts.
Unabhängig von ihrem religiösen Glauben lebten die einheimischen Juden immer im Frieden mit allen Korfioten.
Sie haben zur Entwicklung Korfus durch ihre gewerblichen Tätigkeiten, in den Wissenschaften und Künsten, usw. beigetragen.
Die korfiotischen Juden kamen vom Westen aus der Region Apulien in Italien und aus dem Osten und anderen Teilen des kontinentalen Griechenlands. So setzte sich die Gemeinde zusammen aus Pugliese (Juden vom Süden Italiens) und Romaniote (griechisch sprechende Juden). Die pugliesischen Juden erreichten Korfu von Apulien, dem Süden Italiens, im Jahr 1540 nachdem sie in ihrem Heimatland verfolgt wurden.
Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Jüdische Gemeinde auf der Insel ungefähr 7.000 Mitglieder.
Im Jahre 1891 verwüstete ein Pogrom in Folge einer „Blutverleumdung“ die jüdische Gemeinde und beschädigte die Beziehungen zwischen der lokalen Bevölkerung und den Juden. Verfälschend wurde berichtet, der Mörder eines jungen jüdischen Mädchens namens Rubina Sardas habe einen Ritualmord an einem christlichen Mädchen begangen. Dies führte zu Plünderungen und gewaltsamen Angriffen ungeachtet dessen, dass gar niemand verletzt worden war. Nach dieser falschen Beschuldigung waren die Juden beunruhigt und begannen zu emigrieren. 5.000 korfiotische Juden emigrierten nach Alexandria in Ägypten und in andere europäische Städte (Triest usw.).
Am 9. Juni 1944 wurden von den Nazi-Deutschen 2.000 korfiotische Juden zusammengetrieben und von der Insel deportiert. 91% von ihnen zusammen mit weiteren 67.000 griechischen Juden und 6.000.000 europäischer Juden wurden in den Konzentrationslagern ermordet.
Die Gefangenen wurden zuerst mit kleinen Booten fortgebracht und dann in Züge verladen: Von Igoumenitsa mit Lastwagen in das KZ Haidari (bei Athen) oder von der Insel Lefkada über Patras in das KZ Haidari und von Haidari über Jugoslawien in das KZ Auschwitz (in Polen).
Das Elend, der Hunger, die Prügel und die Zwangsarbeit, deren sie unterworfen waren, kann gar nicht richtig und vollständig nachgezeichnet werden.
Der Holocaust an den korfiotischen Juden fand statt am 29. Juni 1944.
1.700 Juden von Korfu wurden in den Gaskammern und Krematorien ermordet.
300 wurden der Zwangsarbeit unterworfen.
150 von ihnen starben unter den harten und unmenschlichen Bedingungen (Hunger, Krankheiten und Not) und nur 150 überlebten und wurden von den Alliierten befreit.
Die Hälfte der Holocaust Überlebenden emigrierte nach Israel, in die USA oder in andere Staaten.
Die anderen von ihnen kehrten zurück nach Korfu und bauten ihre Gemeinde wieder auf, welche momentan ungefähr 60 Juden umfasst.
Der Holocaust an den korfiotischen Juden geschah wirklich, ungeachtet der vielen Leugner, die heutzutage die Welt bedrohen.
Die Welt hat diese zu isolieren und darf niemals die Bösartigkeit vergessen, die den unschuldigen Opfern mit diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auferlegt wurden.
Die Synagoge in der Velissariou Straße ist die neu errichtete von den vier einst in Korfu existierenden Synagogen. Sie wird Scuola Greca genannt. Der original jüdische Tempel wurde 1650 erbaut und wurde auch als Griechischer Tempel bezeichnet, denn die aus dem Osten und von anderen Gegenden Griechenlands stammenden Juden besuchten ihn am Samstag. Scuola Greca bietet dies noch heute an.
In der Paleologou Straße gab es drei weitere Synagogen, die von den pugliesischen Juden erbaut waren: Die erste wurde die Apulienische oder Pugliesische Synagoge genannt. Sie war um 1550 erbaut worden. Die zweite, eine kleinere Synagoge, wurde auf der Apulienischen Synagoge erbaut. Sie wurde der Neue Tempel genannt. Die dritte wurde nahe des Neuen Tempels erbaut, aber sie war noch kleiner als diese. Sie wurde Medras genannt. Die Ruine dieser Tempel bestehen noch heute.
Die Jüdische Gemeinde von Korfu
1. ↩ Diese kleine Broschüre wurde einer Gruppe der „Wilden Rose“ anlässlich ihres Gesprächs mit Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde von Korfu im Herbst 2016 auf englischer Sprache übergeben. Es handelt sich hier um eine eigene, also nicht autorisierte Übersetzung.
Kurze Hinweise zur Geschichte Korfus
Frühgeschichte und Altertum
Archäologische Funde belegen, dass Korfu schon in der Steinzeit besiedelt war. In der Jungsteinzeit besiedelten Bauern und Hirten Korfu. Auch für die Bronzezeit lassen sich Siedlungen nachweisen. Seit dem 8. Jh. v.u.Z. siedelten immer wieder griechischen Kolonisten in Korfu. Kerkyra wurde zu einer selbständigen griechischen Seemacht, die allerdings in der hellenistischen Zeit (300 v.u.Z.) ihre Unabhängigkeit verlor und schließlich erste römische Provinz in Griechenland wurde.
Byzantinische Herrschaft
Mit der Teilung des Römischen Reiches gelangte Korfu 395 n.u.Z. zum Oströmischen Reich. Während der byzantinischen Herrschaft wurde die Bevölkerung Korfus christianisiert. Da Korfu an der Schnittstelle der beiden Römischen Reiche gelegen war, wechselte es nach dem Niedergang des byzantinischen Reiches in den folgenden Jahrhunderten häufig seine aristokratisch-adligen Herren, die Korfu das westeuropäische aristokratische System aufzwangen.
Unter der Herrschaft der Republik Venedigs (1386 – 1797)
Im 14. Jh. breitete sich der Einfluss der Republik Venedig bis nach Korfu aus und 1386 schloss sich Korfu Venedig an. Korfu wurde von einem Gouverneur verwaltet. Die Bevölkerung teilte sich sozial in Adlige (Aristokratie und Grundbesitzer), Bürgerliche (Händler, Kaufleute und Handwerker) und das Volk (vorwiegend leibeigene Bauern, Tagelöhner). Unter der Herrschaft der Republik Venedigs wurden in Korfu von den Großgrundbesitzern große Olivenplantagen angelegt.
Abwehr der Angriffe des osmanischen Reichs
Die Ausweitung des Osmanischen Reiches führte auch zu militärischen Angriffen der Osmanen gegen Korfu. Korfu wurde daher von der Republik Venedig im 16. und 17. Jh. strategisch ausgebaut. Die Alte Festung, deren Außenmauern noch heute stehen, wurde im 16. Jh. errichtet und widerstand z.B. der Belagerung durch die Osmanen im Jahre 1537 n.u.Z.
1716 n.u.Z. kam es zu dem letzten Angriff des Osmanischen Reiches mit ca. 30.000 Soldaten gegen Korfu. Die Republik Venedig verpflichtete Graf Johann Matthias von der Schulenburg, einen erfahrenen militärischen Strategen in der Festungsverteidigung, der mit ca. 8.000 Soldaten und der Unterstützung aus der Bevölkerung den Angriff abwehrte. Die Korfioten schrieben diesen Erfolg ihrem Inselheiligen St. Spiridon zu.
Unter der Herrschaft der revolutionären Republik Frankreich (1797 – 1799)
Mit dem Sieg der von Napoleon befehligten Truppen der bürgerlich-revolutionären französischen Republik in Italien wurden 1797 auch die Ionischen Inseln der französischen Republik unterstellt. Die alte feudal-aristokratische Gesellschaft begann sich durch die von der französischen Herrschaft durchgesetzten bürgerlichen Freiheiten und dem freien bürgerlichen Markt umzugestalteen.
Republik der Sieben Ionischen Inseln (1800 – 1807)
Das Osmanische Reich in Allianz mit Russland vertrieb die französischen Truppen von Korfu. Am 21.3.1800 gründeten die Osmanen den tributpflichtigen Vasallenstaat, die aristokratische Adelsrepublik der Sieben Ionischen Inseln. Mit der Verfassung von 1803 erhielt neben dem Adel nun auch das reiche Bürgertum das Wahlrecht und den Zugang zu öffentlichen Ämtern.
Korfu unter dem kaiserlichen Frankreich (1807 – 1814)
Mit dem Frieden von Tilsit gelangte Korfu wieder unter die militärische und politische Verwaltung Frankreichs. Die anderen Ionischen Inseln jedoch waren von englischen Truppen besetzt. Im April 1814 besetzten britische Truppen Korfu.
Vereinigte Ionische Inseln (1815 – 1864)
Nach dem Sieg über das napoleonische Kaiserreich einigten sich die vier europäischen Großmächte (Großbritannien, Russland, Preußen und Österreich) 1815 darauf, den Ionischen Inseln eine innere Autonomie mit eigener Verfassung unter dem Protektorat Großbritannien zu gewähren. Der griechisch-orthodoxe Glaube wurde zur Staatsreligion und Griechisch die offizielle Staatssprache.
Anschluss an ein unabhängiges Griechenland (1864 – 1940)
1821 erhob sich eine griechisch-nationalistische Bewegung im Süden des heutigen Griechenlands gegen die osmanische Herrschaft und bildete dort 1821 eine erste republikanische Nationalregierung. Nach der Intervention der europäischen Großmächte und nach Niederlagen der osmanischen Truppen installierten die Großmächte 1830 einen unabhängigen monarchistischen griechischen Nationalstaat. Das Anwachsen der griechisch-nationalistischen Stimmung in Korfu führte am 21. Mai 1864 zum Anschluss der Ionischen Inseln an Griechenland. Seitdem ist der 21. Mai auf allen Ionischen Inseln Nationalfeiertag.
Das hauptsächlich agrarisch geprägte Korfu, in dem die Bauern noch in leibeigenschaftlicher Schuldknechtschaft zur aristokratisch-adligen Grundbesitzerklasse standen, entwickelte sich nun durch die Verbindung mit Griechenland ökonomisch zu einem bürgerlichen Land. Unter der republikanischen Regierung in Athen wurden die Bauern von ihren Lasten und der leibeigenen Abhängigkeit vom Landadel per Gesetz und staatlicher Entschädigung befreit, die Bauern hatten jedoch Schuldzahlungen an den nun bürgerlich-kapitalistischen Landadel auf Jahrzehnte hin zu leisten.
Korfu unter italienischer Besatzung (1940 – 1943)
Der 1936 mittels eines Staatsstreichs in Griechenland an die Macht gelangte General Ioannis Metaxas beantwortete ein italienisches Ultimatum, das die Kapitulation Griechenlands verlangte, am 28.10.1940 mit „Oxi“ (Nein). Der 28.10. wird daher als „Oxi-Tag“, Nationalfeiertag in ganz Griechenland, begangen. Noch am 28.10.1940 griff Italien von Albanien aus Griechenland an. Am 28.11.1940 wurde Kerkyra, Korfu-Stadt, von einem italienischen Geschwader bombardiert, was 200 Todesopfer und große Zerstörungen verursachte. Der griechisch-italienische Krieg endete jedoch mit einer Niederlage der italienischen Truppen und erst mit dem Überfall der NS-Wehrmacht wurden die griechischen Truppen und Freiwilligen besiegt und Griechenland von deutschen, italienischen und bulgarischen Truppen besetzt. Italienische Truppen besetzten Korfu im 28. April 1941 bis zur Kapitulation Italiens vor den alliierten Truppen im September 1943.
Korfu unter deutscher NS- Besatzung (1943 – 1944)
Am 14.9.1943 bombardierte die deutsche Luftwaffe Korfu und zerstörte etwa ein Drittel der Innenstadt von Kerkyra. Am 24.9.1943 landeten die NS-Gebirgsjäger der 1. Gebirgs-Division („Edelweiß-Division“) auf Korfu, die zuvor auf der Nachbarinsel Kefalonia ein Kriegsverbrechen mit der Erschießung von über 5.000 italienischen Soldaten begangen hatten. Auch auf Korfu wurden unter dem Befehl des NS-Offiziers Hubert Lanz am 28. und 29.10.1943 die gefangengenommenen 280 italienischen Offiziere von den NS-Truppen erschossen. Die meisten italienischen Soldaten gerieten in Gefangenschaft, einige wurden von Korfioten versteckt, flohen in die Berge oder schlossen sich den in den Bergen Korfus kämpfenden Partisanen an.
Im Juni 1944 wurden von den NS-Besatzern ca. 2.000 korfiotische Juden über Athen zur Ermordung nach Auschwitz deportiert, nur ca. 150 überlebten das Vernichtungslager. Durch Flucht konnten ca. 200 korfiotische Juden der Deportation entgehen. Im Oktober 1944 mussten die NS-Truppen vor den anrückenden britischen Truppen, die die NS-Wehrmacht in Korfu bombardierten, aus Korfu abziehen und die britischen Truppen befreiten Korfu von der NS-Besatzung.
Korfu ab 1945 bis heute
Nach dem Krieg war Korfu-Stadt weitgehend zerstört. Die Masse der Bevölkerung war verarmt und lebte im Elend, viele Korfioten wanderten nach Athen oder ins Ausland ab.
Zwischen 1944 und 1948 kam es in ganz Griechenland zu einem blutigen Bürgerkrieg in dem die linken-republikanischen Kräfte den rechten-monarchistischen Kräften, die von England und den USA finanziell, politisch und militärisch unterstützt wurden, unterlagen. Zehntausende von Toten waren zu beklagen, 100.000 Partisanen, Kommunisten, Republikaner, Linke und Sympathisanten emigrierten. Linke Parteien und Organisationen wurden verboten und verfolgt.
Ein Militärputsch am 21.4.1967 verhinderte den prognostizierten Wahlsieg der vereinten republikanischen und linken politischen Kräfte in den für Mai 1967 angesetzten Parlamentswahlen. Die griechische Militärjunta verfolgte in Korfu, wie in ganz Griechenland die linke Opposition, errichtete Konzentrationslager, folterte die politischen Gefangenen und viele wurden ermordet. Gewerkschaften und Streiks waren verboten. Viele Griechen flohen ins Exil. Am 17.11.1973 kam es in Athen zum Aufstand der Studenten gegen die Militärjunta, der mit brutaler Gewalt auch mit dem Einsatz von Panzern niedergeschlagen wurde. Als 1974 die türkische Armee in Zypern einfiel, hatten die Generäle der Militärjunta jedes Ansehen und selbst die Unterstützung der Armee verloren und die Militärjunta wurde durch eine parlamentarische Demokratie abgelöst.
Seit den 50iger und vor allem den 60iger Jahren begann sich der Tourismus in Korfu zu entwickeln und in den 70iger und 80iger Jahren des 20. Jhd. verwandelte sich die sozio-ökonomische Struktur Korfus erheblich.
07.08.2019 Dr. Peter Milde
Literatur:
Heurtley/Darby/Crawley/Woodhouse: A Short History of Greece, Cambridge 1965, dt. Kohlhammer Verlag Stuttgart 1966
Loukas Lymperopoulos: Kurze Geschichte Neugriechenlands, in: APuZ 35-37/2012, S. 23 – 30.
In dieser Ausgabe von FIPS NEWS wurde mehrfach auf die „Wilde Rose“ Bezug genommen. Daher soll der Leser hier ihr Selbstverständnis kennenlernen: