FIPS NEWS Nr. 2 Kunsttherapie zwischen Kunst und psychisch Kranken

Einladung an alle Interessierte:

In der Nacht der Museen am 11. Mai 2019 werden von 19 – 2 Uhr im Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt am Main, Breite Gasse 28, u.a. folgende zwei  Ausstellungen zu sehen sein:

  • Ausstellung von Bildern psychisch Kranker aus der Sammlung Prinzhorn,
  • Ausstellung „Verschlossene Welten“ von Bildern suizidgefährdeter Gefangener aus der  Personzentrierten Krisenintervention und Suizidprävention.

Editorial

Die Krise unserer heutigen „zivilisierten“ Gesellschaft ist allgegenwärtig. Sie umfasst alle unsere Lebens-, Arbeits- und Kulturbereiche. In diesem Newsletter wollen wir bezugnehmend auf die obigen Ausstellungen uns einem Aspekt dieses Themas annähern.

Gerade in der rapiden Zunahme der diagnostizierten psychischen Erkrankungen in Deutschland zeigt sich eine der Facetten der Krise unserer Zivilisation. 

Innerhalb von 10 Jahren (von 2005 – 2016) erhöhte sich die Anzahl junger Menschen mit psychischen Erkrankungen um 76%. 2018 waren in Deutschland 25% aller jungen Menschen im Alter von 18 – 25 Jahren (das  sind 1,9  Millionen) wegen Depressionen, Angststörungen und Panikattacken in ärztlicher Behandlung.

Psychische Erkrankungen sind bereits die zweithäufigste Diagnosegruppe bei Krankschreibungen (BKK Gesundheitsreport 2019, http://www.bkk-dachverband.de).

Innerhalb von 24 Jahren (von 1996 – 2018) nahmen psychische Erkrankungen als Ursache für Frühverrentung von 17,8% auf 43% zu (DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen).

Wir nehmen diese gesellschaftliche Entwicklung und die obigen aktuellen Ausstellungen zum Anlass, um in FIPS NEWS Nr. 2 einen Einblick in unser Verständnis von und unsere Praxis einer Personzentrierten Krisenintervention bei Gefangenen und von Personzentrierter Kunsttherapie  zu geben. Die Bilder im Newsletter sind von Gefangenen aus den therapeutischen Gruppen.

02. Mai 2019                Dr. Peter Milde

Inhalt von FIPS NEWS Nr. 2:

  • Editorial
  • Krisenintervention und Suizidprophylaxe bei Gefangenen
  • Zur Entwicklung der Kunsttherapie zwischen Kunst und Psychiatrie
  • Grundsätzliches zur Kreativität in der Kunsttherapie
  • Schnittmengen von Hans Prinzhorn mit Carl Rogers
  • Zitate aus Hans Prinzhorn, Bildnerei der Geisteskranken.
  • Vorbemerkung zu und Zitate aus Hans Prinzhorn, Bildnerei der Gefangenen.
  • Zur „Person-Centered Expressive Arts Therapy“

„hell-dunkel“ – Wachsmalstift auf Papier © Inga Creter

Krisenintervention und Suizidprophylaxe bei Gefangenen

Zur Notwendigkeit von Krisenintervention und Suizidprophylaxe

Die Gründe, warum Menschen in Untersuchungshaft gelangen, sind sehr unterschiedlich. Die Lebensgeschichte und die Tat(vorwürfe) sind vielfältig und die Schuldfrage (meist) ungeklärt. In der Regel erleben Untersuchungsgefangene, wie sie plötzlich aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld heraus verhaftet werden, wie der Kontakt zur Familie, zu Freunden und zu Kindern unvermittelt abbricht. Sie stehen womöglich kurz vor dem Verlust ihrer Wohnung, ihres Arbeitsplatzes, ihrer Existenzgrundlage, die häufig auch diejenige der Familie ist. Die Untersuchungshaft ist für die Betroffenen daher eine außergewöhnliche Situation. Sie sind eingesperrt, erleben sich als nahezu handlungsunfähig und können sich vor allem in der ersten Zeit kaum beschäftigen. Die Lebenssituation im Gefängnis ist für sie meist neu, löst diffuse Ängste und Befürchtungen aus. Ein Blick in die Statistik zeigt: Im Zeitraum von Januar 2000 bis Dezember 2010 haben sich in deutschen Gefängnissen 907 Gefangene das Leben genommen, 53% davon befanden sich in Untersuchungshaft und 48% töteten sich in den ersten drei Monaten der Inhaftierung. 13% töteten sich gar innerhalb der ersten drei Tagen der Haft.

Aufgabe und Ziele der Krisenintervention und Suizidprophylaxe

Die Phänomene der Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Selbstmarterung und Selbstaufgabe führen häufig zu extremen psychischen und Verhaltensreaktionen, wie Knastkoller, Selbstverletzungen, sozialem Rückzug, Depressionen, akuten Psychosen oder auch Selbsttötungen. Dem entgegenzuwirken ist die Aufgabe der Krisenintervention und Suizidprophylaxe. Die Krisenintervention und Suizidprophylaxe verfolgt daher die folgenden Ziele:

  • Überwindung aktueller Lebenskrisen,
  • psychische Stabilisierung,
  • Unterstützung bei der Integration in den Vollzugsalltag und in die Gefangenengemeinschaft,
  • Überwindung von Ängsten,
  • Bewältigung emotionaler und affektiver Krisen,
  • Stärkung des Selbstwerts und Selbstvertrauens,
  • Auseinandersetzung mit persönlichen Schwierigkeiten,
  • Bearbeitung von Schuld und Scham.

Allgemeine Inhalte der Krisenintervention und Suizidprophylaxe

In den therapeutischen und sozialpädagogischen Gruppen werden durch das konkrete Erleben und die Förderung durch die Gruppenleiterinnen die folgenden Fähigkeiten entwickelt:

  • Fähigkeiten zur Bewältigung von Konflikten und Problemen werden erweitert,
  • persönliche Ressourcen werden erschlossen,
  • soziale und kommunikative Fähigkeiten werden erworben,
  • Perspektiven und neue Einstellungen zum Leben im und nach dem Gefängnis werden entwickelt.

Die Methoden der Krisenintervention und Suizidprophylaxe

Die Methoden der Krisenintervention ergänzen eventuell erforderliche Sicherungsmaßnahmen und basieren im Wesentlichen auf drei Bausteinen:

Der erste Baustein ist eine Risiko- und Krisendiagnostik zum Erkennen von gefährdeten Gefangenen im Zugangsgespräch des Sozialdienstes, bzw. im Diagnose-Gespräch des Psychologischen Dienstes. Durch das Zugangsgespräch werden alle zugeführten Untersuchungsgefangenen erfasst. Bei Auffälligkeiten im Verhalten oder in den Äußerungen und bei der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe erfolgt eine psychologische Einschätzung. Als Risikomerkmale gelten: schwere Gewaltdelikte, Sexualdelikte, Straftaten im sozialen Nah-Raum, Brandstiftungsdelikte, Alter von 55 Jahren und älter, psychische Erkrankungen, Hinweise auf Suizidgefahr oder Selbstverletzungsgefahr.

Der zweite Baustein besteht in Gruppenveranstaltungen bei praktisch-kreativer, kunsttherapeutischer Beschäftigung mit künstlerischen Materialien und spieltherapeutischen Anteilen (auch musiktherapeutische Methoden). Diese Gruppenveranstaltungen ermöglichen in mehrfacher Hinsicht die Unterstützung des Gefangenen und sollen

  • eine Ablenkung von und eine Alternative zu seinen psychischen Belastungen bieten,
  • eine therapeutische und kreative Auseinandersetzung mit seinen Problemen und Schwierigkeiten eröffnen,
  • eine konstruktive und gewaltfreie Kommunikation und Interaktion und eine solidarische gegenseitige Unterstützung in der Gruppe ermöglichen,
  • durch die Reflektion, das kreative Erleben und den Dialog in der Gruppe und mit der Gruppenleitung persönliche Veränderungen des Verhaltens, der Einstellungen und Erwartungen bewirken.

Der dritte Baustein umfasst eine sozialpädagogische Gesprächsgruppe auf gruppendynamischer Grundlage zur Aktivierung der Gefangenen, zur Förderung der Kommunikation, Interaktion und Solidarität sowie der Auseinandersetzung der Gefangenen mit ihrer persönlichen Situation und ihren individuellen Schwierigkeiten.

Die Gruppenveranstaltungen werden durch ausgebildete Kunsttherapeut*innen, Kunstlehrer*innen oder Personen mit künstlerisch-graphischer Ausbildung und Sozialpädagog*innen angeleitet.

Die Zusammenarbeit im Team ist sowohl für den Erfolg der Maßnahme (unterschiedliche Gruppenleiterinnen ermöglichen eine größere Erfahrungsbreite) als auch für die erfolgreiche Bewältigung der Aufgabe durch die Gruppenleiter*innen (große psychische und emotionale Belastung) von Vorteil. Die mindestens vierteljährlich stattfindenden Teamsupervisionen beinhalten Fallbesprechungen, den Austausch der Gruppenleiterinnen mit den internen Fachdiensten, verschiedene Fragen der Weiterentwicklung der Konzeption und der praktischen Arbeit sowie der Außendarstellung.

Ablauf der Krisenintervention und Suizidprophylaxe

Die Krisenintervention und Suizidprophylaxe ist eine intensive Behandlungsmaßnahme auf freiwilliger Basis und ist in der Regel auf sechs Wochen befristet, um einen schnellen und nachhaltigen Effekt der psychischen Stabilisierung und Aktivierung des Verhaltens zu erzielen. Dies bedeutet, dass an fünf Werktagen in der Woche pro Tag jeweils eine Gruppenveranstaltung im Umfang von jeweils drei Zeitstunden angeboten wird. Diese Gruppenveranstaltungen bestehen aus künstlerisch-kreativen, kunsttherapeutischen und sozialpädagogischen Gruppenkriseninterventionen, die jeweils von entsprechend qualifizierten externen Fachkräften auf Honorarbasis angeleitet werden.

Die Krisenintervention ist so konzipiert, dass kontinuierlich bis zu 8 Gefangene gleichzeitig teilnehmen können und die Maßnahme das ganze Jahr über durchgängig stattfindet, d.h. dass ständig Gefangene nach Ablauf von ca. sechs Wochen ausscheiden und ständig neue Gefangene in die Maßnahme aufgenommen werden können. Dies bedeutet, dass neu aufgenommene Gefangene gleichzeitig mit Gefangenen, die bereits seit ein, zwei oder mehr Wochen in der Maßnahme sind, an dieser teilnehmen, was sich auch auf den Erfolg positiv auswirkt. Eine Verlängerung der Teilnahme an der Maßnahme kann individuell bezogen auf jeden einzelnen Gefangenen nach Einschätzung und Bedarf erfolgen.

Evaluation

Die Evaluation der Maßnahme erfolgt durch die beobachtbare Verhaltensänderung, durch die im psychologischen Gespräch festgestellte Einstellungsänderung und psychische Stabilisierung und durch die Anwendung des standardisierten Tests „Veränderungsfragebogendes Erlebens und Verhaltens“.

28.10.2011      Peter Milde

Lebenslinie nach sechs Therapiesitzungen © Inga Creter

Zur Entwicklung der Kunsttherapie zwischen Kunst und Psychiatrie

Einblicke in die Entwicklung der Behandlung in psychiatrischen Anstalten

In Deutschland wurden noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein die sog. Geisteskranken in psychiatrischen Anstalten mit Gewalt und Zwang behandelt, etwa in Ketten gelegt, auf Drehstühlen bis zur Bewusstlosigkeit gedreht, mit  kaltem Wasser übergossen oder zur Ader gelassen. Geistesstörungen galten als Folge menschlicher Schuld (Christian August Heinrich, 1818), weshalb die Behandlung eher Strafen glich. 

Von England kommend verbreitete sich im Laufe des 19. Jahrhunderts auch in den Psychiatrien Deutschlands eine religiös-moralische Behandlung, das sog. „moral treatment“. Ausgehend von der Vorstellung, dass die psychische Erkrankung in unmoralischem Handeln, Wollen und im Müßiggang wurzele, sollte eine religiös-moralische Erziehung bei geregeltem Tagesablauf mit Arbeit, Zerstreuung und kreativer Beschäftigung zur moralischen Besserung und Gesundung beitragen. Das „moral treatment“ setzte u.a. als Technik die Isolation mit Schweigen ein, die die völlige Unterordnung des Patienten unter den Willen des Arztes bezweckte. Eine weitere Technik bestand in der Einübung von Disziplin durch ständige Beurteilung, Strafen und  Arbeit. Die meisten öffentlichen Psychiatrien glichen eher Orten der Internierung bei ständiger Überfüllung und dem Einsatz von Arbeitskolonnen unter quasi militärischem Drill. Nur eine Minderheit der geistig Kranken wurde von Ärzten betreut. 

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Vorstellung von der Ursache psychischer Krankheiten, die nun mit Armut, Elend und Entbehrungen in Verbindung gebracht wurden. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde allgemein der therapeutische Wert von Arbeit und Beschäftigung erkannt und in den Psychiatrien integriert.  Daraus entwickelte sich die Beschäftigungstherapie, die an den Fähigkeiten und dem Können des Patienten ansetzte.

Mit der Entstehung der Psychoanalyse Sigmund Freuds in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann parallel hierzu die Anwendung therapeutischer Konzepte bei seelischen Erkrankungen, in deren Mittelpunkt das Gespräch und die Kommunikation zwischen dem Therapeuten und dem Patienten steht.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand die Elektroschock-Therapie – die von einigen Psychiatern noch heute empfohlen und praktiziert wird. Seit den 50iger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die medikamentöse Therapie zur wesentlichen Therapieform psychisch Kranker.

Zur Entstehung der Malateliers in psychiatrischen Anstalten

Bereits im „moral treatment“ wurde Malen als therapeutisch wirksame Behandlung eingesetzt, die als eine Übung in Selbstdisziplin aufgefasst wurde und dem schädlichen Müßiggang entgegen wirken sollte.

Mit der Anerkennung von  Arbeit und Beschäftigung als therapeutisch wirksamen Faktoren wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts  zuerst in Schottland, England und Frankreich und dann auch in Deutschland vor allem in privaten psychiatrischen Anstalten „künstlerische Werkstätten“ eingerichtet. Diese sollten zur Unterhaltung und Zerstreuung beitragen und die Attraktivität der Anstalten erhöhen. Die Zeichnungen, Bilder und Schriften der psychiatrisch kranken Insassen der Anstalten weckte das Interesse der Psychiater.

Erstmals nutzten ab 1870 die französischen Psychiater Ambroise Tardieu und Max Simon  die Bilder ihrer Patienten zur Diagnostik, indem sie eine Beziehung zwischen den Symptomen der psychischen Erkrankung und deren kreativem Ausdruck herstellten. Simon beschrieb, dass Patienten mit Größenwahn große Plätze, große Gärten oder große Häuser zeichneten und dass Patienten mit progressiven Paralysen enorme Diskrepanzen zwischen ihren Bildern und ihrer Selbsteinschätzung aufwiesen, d.h. diese Patienten verstanden sich als große Künstler, doch ihre Bilder und Zeichnungen waren sehr einfach und unvollkommen.

Der Psychiater Marcel Réjà betonte bereits 1907 den eigenständigen künstlerischen Aspekt der Bilder der psychisch Kranken und erkannte die heilende Wirkung des künstlerisch-kreativen Gestaltens.

Zu Hans Prinzhorn und der „Bildnerei der Geisteskranken“

Hans Prinzhorn (1886  – 1933) studierte zuerst Kunstgeschichte, begann 1913 ein Medizinstudium und promovierte 1919 bei Prof. Willmanns in Heidelberg, in dessen Auftrag er eine Sammlung von in verschiedenen Psychiatrien spontan entstandenen Bildern und Zeichnungen von meist künstlerisch ungelernten psychisch Kranken anlegte. 1922 erschien sein Werk „Die Bildnerei der Geisteskranken“, das auf der Basis von zwischen 1919 und 1921 gesammelten ca. 5000 Bildern, Zeichnungen und Objekten entstand. (Siehe zur Sammlung Prinzhorn: https://prinzhorn.ukl-hd.de/museum/geschichte/

Beeinflusst auch von der zur gleichen Zeit von Sigmund Freud entwickelten Psychoanalyse und psychoanalytischen Traumdeutung sah Prinzhorn in den spontan entstandenen Bildern der „Geisteskranken“ das Hervorbrechen von seelischen Vorgängen. Das spontane Ausdrucksbedürfnis der psychisch Kranken interpretierte Prinzhorn als Entladung individueller Gestaltungstriebe. Der Spieltrieb, wie etwa auch das Kritzeln, diene dem Lustgewinn  und dem Spannungsabbau. Der Schmucktrieb, etwa mit dem Zeichnen von Ornamenten, bediene den Drang nach formaler Ordnung. In den Zeichnungen und Bildern vermutete er die Wiedergabe innerer Anschauungsbilder (Abbildungstendenz). Er ging davon aus, dass die Bilder und Zeichnungen für die psychisch Kranken ein Symbolbedürfnis ausdrückten, d.h. dass im Bild dargestellte Geschehen symbolisiere das, was mit demjenigen geschehe, den das Bild repräsentiere. Prinzhorn sah in der „Kunst der Geisteskranken“, ähnlich wie in der „Kunst der Primitiven“ und der „Kunst der Kinder“ den kreativen Ausdruck von Ursprünglichkeit ohne kultureller Normierung.

Als Kunsthistoriker war Prinzhorn an dem Vergleich der „Bildnerei der Geisteskranken“ mit den neuen, modernen Kunstrichtungen interessiert. Und umgekehrt waren die Künstler des Expressionismus (etwa Klee und Kandinsky) von der kreativen Ursprünglichkeit der Kunst der „Geisteskranken“ begeistert, war deren moderner Kunstbegriff doch auch geprägt von der Enthüllung und dem Ausdruck des verborgenen Innersten des Menschen im künstlerischen Produkt.

Die Münchner Künstlergruppe „Blaue Reiter“ (1911) verwendete Farben und Formen nicht mehr nur zur Darstellung eines Bildgegenstandes, sondern Form und Farbe verselbständigten sich. Statt der Genauigkeit der Abbildung sollte das künstlerische Werk Gefühlen und Einstellungen Ausdruck geben.

Der von André Breton 1924 begründete Surrealismus verzichtete in seinen Bildern bewusst auf logische Gestaltung und bewusste Kontrolle. Unbewusstes und Träume bestimmten die künstlerische Darstellung. Nicht zusammen gehörende Gegenstände wurden miteinander gekoppelt, um eine neue, magische Wirklichkeit zu schaffen. Techniken wie der Frottage oder Abzieh- und Abklatschbilder sollten dazu befähigen, spontan zu neuen visuellen und verbalen Vorstellungen zu gelangen. Salvador Dali und Max Ernst waren Vertreter dieser Richtung. (NS-Deutschland verfolgte diese Kunstrichtungen wie auch die „Kunst der Geisteskranken“ als „Entartete Kunst“).

Kaffee und Mischtechnik auf Papier – Im Kaffeesatz lesen © Eva Leitschuh

All diese Ähnlichkeiten zwischen Bildern von „Künstlern“ und Bildern von „Geisteskranken“ führten Prinzhorn zur Überlegung, ein für alle Menschen gemeinsames Gestaltungserleben und gemeinsamen Gestaltungsdrang anzunehmen. Damit galten die Zeichnungen und Bilder „Geisteskranker“ nicht länger als „Krankheitssymptom“, sondern ebenso als Kunst. Kunst war nicht länger nur Nachahmung und Abbild der Wirklichkeit, sondern Ausdruck von Gefühlen, Bedürfnissen, Einstellungen und Vorstellungen und damit Produkt schöpferischer Kraft, Imagination und Phantasie.

Zur Entwicklung der psychoanalytischen Kunsttherapie

Von Anna Freud wurden in der Therapie mit Kindern neben Träumen, Tagträumen auch Kinderzeichnungen umfangreich angewandt. Sie sah in den Zeichnungen Ausdrucksformen der Konflikte der kindlichen Seele.

C. G. Jung entwickelte die Technik der aktiven Imagination. Hierbei wird der Patient aufgefordert, bei einem abgebrochenem Traum oder einem inneren Bild weiter zu phantasieren und dabei aufsteigende Gefühle und Bilder in Gemälden oder Skulpturen darzustellen.

Melanie Klein entwickelte die Spielanalyse von Kindern.  Da für Kinder Assoziationen mittels Sprache nur eingeschränkt möglich sind, sollten die Bilder immer im Beisein der Therapeutin entstehen, die deren Bedeutung aus der gesamten analytischen therapeutischen Situation und den Übertragungsbeziehungen schließen sollte.

In den USA entstanden ab Mitte der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts in den Kinderstationen psychiatrischer Kliniken auf analytischer Grundlage arbeitende „Malateliers“ (eng. „Art class“). Die dort entstandenen Bilder wurden als Ausdruck unbewusster seelischer Konflikte betrachtet.

In anderen „Art class“ wurde der Schwerpunkt auf die Kunstpädagogik im Sinne der Vermittlung von künstlerisch-technischen Fertigkeiten gelegt. Der unterrichtende Künstler stand mit Rat und Tat den Patienten zur Seite. In diesen „Art class“ wurde die analytische Deutung der Bilder abgelehnt und das Malen und Zeichnen sollte der Wiedereingliederung der Patienten und ihrer Integration in den Arbeitsprozess dienen.

In den „Art class“ begann jedoch auch die kreative Gruppenpsychotherapie sich neben der Einzeltherapie zu entwickeln. 1950 gab es weltweit 34 Malateliers in psychiatrischen Kliniken. Die erste Ausstellung für psychopathologische Kunst fand 1950 in Paris statt. 

Einige grundlegende Überlegungen zur personzentrierten Kunsttherapie

„Die Hauptquelle der Kreativität scheint die gleiche Tendenz zu haben, die wir als die tiefste heilende Kraft in der Psychotherapie entdecken – die Tendenz des Menschen, sich selbst zu verwirklichen, seine Potentialitäten zu entfalten. Wir verstehen darunter den richtungsgebenden Impuls, sich auszudehnen, sich zu erweitern, zu entwickeln, zu reifen – die Tendenz, alle Fähigkeiten des Organismus auszudrücken, und zwar in einem Maße, dass eine solche Aktivierung den Organismus oder das Selbst fördert. Diese Tendenz kann tief unter Schichten verkrusteter psychologischer Abwehrstrukturen begraben sein, sie mag versteckt sein hinter ausgeklügelten Fassaden, die ihre Existenz verleugnen, indes ist es meine Überzeugung – und diese gründet auf meine Erfahrung – , dass sie in jedem Individuum vorhanden ist, und nur auf die rechten Bedingungen wartet, um frei und ausgedrückt zu werden. Diese Tendenz ist die primäre Motivation für Kreativität, durch die der Organismus in seinem Streben, in umfassendster Weise er selbst zu sein, neue Beziehungen mit der Umwelt aufnimmt.“

(Carl Rogers: Auf dem Wege zu einer Theorie der Kreativität, in: Petzold / Orth (Hg.), 1990, S. 240).
Acryl auf Leinwand © Eva Leitschuh

Zeichnen und Malen sind eine spielerische, vorsprachliche Art der Kommunikation und eine schöpferische, weitgehend zweckfreie Beschäftigung. Es ermöglicht die Verarbeitung sinnlicher und intellektueller Erfahrungen und ist ein bildhaft-symbolischer Ausdruck erlebter Gefühle, Bedürfnisse, Erfahrungen und Vorstellungen. Bilder und Zeichnungen sind daher Ausdruck des eigenen Selbst und zugleich formen sie wieder das eigene Selbst durch die Betrachtung und Reflexion derselben. Sie sind daher höchst  individuell und spiegeln die eigenen Gefühle, Vorstellungen, Wünsche, Träume und Sichtweisen wider. Mit ihnen werden daher Stimmungen, Emotionen und Gedanken ausgedrückt und mitgeteilt. Diese müssen dem*der Maler*in und Zeichner*in keinesfalls immer voll bewusst sein, sondern können auch unterhalb der Grenze seiner*ihrer eigenen Wahrnehmung und Bewusstwerdung liegen. Kunstwerke bieten  die Freiheit der Assoziation, Reflexion und Interpretation.

Kunst und Kunsttherapie unterscheiden sich im Hinblick auf ihren Markt und ihren Zweck. Die Produkte des Malens und Zeichnens in der Kunsttherapie sollten frei sein von Bewertung  des ästhetischen Ausdrucks und der dargestellten Inhalte, damit angstfreies Experimentieren mit der eigenen Kreativität und den zur Verfügung stehenden Mitteln und Materialien möglich wird.  Jede sich künstlerisch ausdrückende Person  ist sich keineswegs aller sie berührenden Konflikte und deren Verinnerlichung bewusst. Je nachdem wie traumatisch diese Konflikte erlebt werden oder wie groß die psychische Leistung und die Art der Abwehr ist, um das Selbst vor dem psychischen Zusammenbruch zu schützen, je kleiner oder je größer ist die Symptombildung in Form einer Verhaltensauffälligkeit, einer psychischen Störungen oder in Form einer schweren psychischen oder auch körperlichen Erkrankung. Kunsttherapie kann in solchen Fällen die Selbstwirksamkeit und den Selbstwert erhöhen, da die eigene freie Gestaltung die Phantasie beflügelt und Stolz, Selbstempathie und Selbstwertschätzung  erleben lässt. Hilfreich hierfür ist die kongruente, empathische und bedingungslos akzeptierende Haltung des Therapeuten, da er somit eine wertschätzende Beziehungserfahrung ermöglicht. Die Zeichnungen und Gemälde werden im kunsttherapeutischen Prozess heilend wirksam, da sie die unterhalb der Schwelle der Wahrnehmung liegenden psychischen Konflikte symbolhaft zum Ausdruck bringen und so eine selbstgeleitete Auseinandersetzung und Verarbeitung ermöglichen.  

15. April 2019            

Olga Schott-Milde (Diplom-Sozialarbeiterin, Personzentrierte Kunsttherapeutin)

Quellen:

Brugger, I. / Gorsten P. / Schröder, K. A. (Hg.): Kunst und Wahn, Verlag Du Mont: Wien 1997.
Corsini, R. J. (Hg): Handbuch der Psychotherapie, Bd. 1, Weinheim und Base 1983.
Günter, Michael: Gestaltungstherapie. Zur Geschichte der Mal-Ateliers in Psychiatrischen Kliniken, Verlag Hans Huber: Bern, Stuttgart, Toronto, 1989.
Dreifuss-Kattan, E.: Theorie und Praxis der Klinischen Kunsttherapie, Bern, Stuttgart, Toronto, 1986.
Kraft, H.: Grenzgänger zischen Kunst und Therapie, Du Mont: Köln 1986.
Kramer, Edith: Kunst als Therapie mit Kindern, München 1975.
Petzold, H. / Orth, I. (Hg.): Die neuen Kreativitätstherapien. Handbuch der Kunsttherapie, Bd. I, Junfermann: Paderborn 1990.
Hans Prinzhorn: Die Bildnerei der Geisteskranken, Berlin 1922.
Carl Rogers: Auf dem Wege zu einer Theorie der Kreativität, in: Petzold / Orth (Hg.), 1990, S. 237 – 257.
Schuster, M., Kunsttherapie – Die heilende Kraft des Gestaltens, Köln 1991.

Grundsätzliches zur Kreativität in der Kunsttherapie

(aus: Peter Milde, Sozialpädagogik mit männlichen Gefangenen im Spannungsfeld von aktueller Betreuung, Resozialisierung und Therapie. Pädagogik im Gefängnis statt ‚Gefängnispädagogik‘ – theoretische Überlegungen und Erfahrungen, Frankfurt am Main 2013, Protagoras Academicus, D-30 ISBN 978-3-943059-05-2). – Die Zahlenangaben im Text verweisen auf die Endnoten.

Josef Beuys hat Kunst und Kunsttherapie als Aktivität im Prozess der Veränderung der Gesellschaft verstanden. Künstlerisches Gestalten im Rahmen der Kunsttherapie ist immer auch Kunst im klassischen Sinne, also nicht einfach nur ein Mittel zum Zweck, sondern das künstlerische, kreative Schaffen ist ein zu tiefst menschlicher Zweck für sich, eine Tätigkeit zur Gestaltung sowohl des einzelnen Menschen als auch des menschlichen gesellschaftlichen Lebens selbst. Kunsttherapie darf daher nicht einfach ein Konstrukt sein, sondern soll sich als Teil des menschlichen Gesamterkenntnisprozesses verstehen:

„(…) Kunst ist ja Therapie. Aber bei dieser Therapie sollte man sich sozusagen ein Bewusstsein erschaffen, das heißt man sollte nicht darauf verzichten, in Zusammenhängen zu DENKEN. Denn die Therapie, die sozusagen nur Aggressionen ableiten will, oder die sozusagen die Menschen beschäftigen will – das greift ja alles gar nicht tief genug in den Gesamterkenntnisprozess hinein. (…) alles menschliche
Wissen stammt aus der Kunst. Jede Fähigkeit stammt aus der Kunstfähigkeit des Menschen, das heißt: kreativ tätig zu sein. Woher soll es anders stammen können? Der Wissenschaftsbegriff ist erst eine Abgablung von dem allgemeinen Kreativen. Aus diesem Grund muss man auch eine künstlerische Erziehung für den Menschen fordern, nicht? (…) der Staat legt keinen großen Wert mehr auf die künstlerische ästhetische Erziehung des Menschen, sondern er legt Wert auf die Reproduktion von technischer Intelligenz zur Aufrechterhaltung seines Machtsystems. Aus diesem Grund kommt man an die Lösung der politischen Aufgabenstellung für die Zukunft, auch an die Ausbildung einer neuen Vorstellung für die zukünftige Gesellschaftsordnung nur weiter an Hand des Menschenbildes selbst.“ (1038)

Kunst und Kreativität geht nach Beuys also weit über den Status quo nicht nur des einzelnen Individuums, sondern auch der Gesellschaft hinaus, weil es immer auch Grundfragen der menschlichen Seele und der menschlichen Gesellschaft aufwirft.

Acryl auf Papier

Für Carl Rogers ist Kreativität in erster Linie ein schöpferischer Akt, durch den sich das Individuum befriedigt fühlt, weil es sich in der schöpferischen Handlung selbstaktualisiert.(1039) Die Motivation für Kreativität ist demnach die gleiche, die dem Handeln eines nicht entfremdeten Menschen oder die als heilende Kraft einer Therapie zugrunde liegt:

„ (…) die Tendenz des Menschen, sich selbst zu verwirklichen, seine Potentialitäten zu entfalten. Ich verstehe darunter den richtungsgebenden Impuls, der in allem organischen und menschlichen Leben evident wird – der Impuls, sich auszudehnen, sich zu erweitern, zu entwickeln, zu reifen – die Tendenz, alle Fähigkeiten des Organismus auszudrücken, und zwar in einem Maße, dass eine solche Aktivierung den Organismus oder das Selbst fördert. Diese Tendenz kann tief unter Schichten verkrusteter psychologischer Abwehrstrukturen begraben sein, sie mag versteckt sein hinter ausgeklügelten Fassaden, die ihre Existenz verleugnen, indes ist es meine Überzeugung – und diese gründet auf meiner Erfahrung –, dass sie in jedem Individuum vorhanden ist, und nur auf die rechten Bedingungen wartet, um frei und ausgedrückt zu werden.“ (1040)

Kreativität ist nach Carl Rogers zuerst einmal frei von jeder Bewertung. Rogerns lehnt daher eine Unterscheidung zwischen guter und schlechter Kreativität ab:

„Ich sehe keinen grundlegenden Unterschied im kreativen Prozess, gleich ob dieser sich äußert im Malen eines Bildes, im Komponieren einer Symphonie, in der Erfindung neuer Tötungsinstrumente, im Entwickeln einer wissenschaftlichen Theorie, im Entdecken neuer Verfahren für menschliche Beziehungen oder im Herstellen von neuen Gestaltungsmöglichkeiten für die eigene Persönlichkeit, wie es in der Psychotherapie geschieht.“ (1041)

Neue Möglichkeiten der Schmerzlinderung oder neue Formen des Folterns zu kreieren, sind als Handlungen beide kreativ, es sind jedoch völlig unterschiedliche soziale Werte, die der Kreativität zugrunde liegen. Doch die Differenzierung ist keineswegs immer so einfach. Kreative Produkte und wissenschaftliche Leistungen erfahren oft von ihren Zeitgenossen Ablehnung. Ihre Wertschätzung als kreative Schöpfung erfolgt erst später, was sich quasi zwangsläufig daraus ergibt, das Kreativität ihrem Wesen nach Novität ist, d.h. progressiv ist und Altes in Frage stellt. Das Produkt des kreativen Prozesses kann daher letztlich kein Maß zu seiner Beurteilung sein. (1042)

Unter dem Aspekt der sozialen gesellschaftlichen Bewertung ist allerdings eine Differenzierung in konstruktive und destruktive Kreativität unbedingt erforderlich. Da kreatives Schaffen also pathologisch, destruktiv oder konstruktiv sein kann, wirft Carl Rogers die Frage auf, was garantiert, dass etwa in der Therapie, aber auch in der Erziehung konstruktive Kreativität und nicht destruktive Kreativität gefördert wird. In der Beantwortung dieser Frage zeigt sich die tief verwurzelte humanistische Einstellung und Überzeugung Rogers, da er nicht in der externalen Kraft der Manipulation, sondern in der internalen Lebenskraft des Menschen als eines sozialen und rationalen Lebewesens den letztlich entscheidenden Impuls sieht:

„Wir haben herausgefunden, dass, wenn ein Individuum für all seine Erfahrungen‚ offen‘ ist, (…) sein Verhalten kreativ sein wird und man darauf vertrauen kann, dass seine Kreativität im Wesentlichen konstruktiv ist. (…) In dem Maße, in dem
ein Individuum die Bewusstheit weiter Bereiche seiner Erfahrung verleugnet (oder verdrängt, wenn man diesen Terminus vorzieht), kann sein kreatives Schaffen pathologisch oder sozial negativ oder dies beides sein. Auf der anderen Seite sind in dem Maße, in dem ein Mensch offen für alle Aspekte seiner Erfahrung und seiner Bewusstheit (awareness) ist, all die verschiedenen Gefühle und Wahrnehmungen zugänglich, die in seinem Organismus vor sich gehen; es sind auch die neuen Produkte seiner Interaktion mit dem Umfeld der Tendenz nach konstruktiv, sowohl für ihn selbst als auch für andere. (…)

(…) wir (können) zu den Möglichkeiten sensorischen Erfahrens, das für das ganze Reich der Tiere charakteristisch ist, die Gabe einer freien und unverzerrten Bewusstheit hinzufügen, über die nur das menschliche Tier voll zu verfügen scheint. Wir haben einen Organismus, der sich der Bedürfnisse der Kultur in gleicher Weise bewusst ist wie seiner eigenen physiologischen Bedürfnisse nach Nahrung oder Sexualität (…). Wenn die einzigartige Fähigkeit des Menschen Bewusstsein (awareness) zu haben, also frei und vollständig funktioniert, haben wir – das ist unsere Auffassung – nicht ein Tier vor uns, das wir fürchten müssten, eine Bestie, die kontrolliert werden muss, sondern einen Organismus, der durch die bemerkenswerte integrative Fähigkeit des zentralen Nervensystems ein ausgewogenes realistisches Verhalten erreichen kann, durch das er sich selbst und andere fördert und das ein Resultat all dieser Elemente der Bewusstheit ist. Mit anderen Worten: wenn der Mensch in weniger umfassendem Sinne Mensch ist – wenn er verschiedene Aspekte seines Erlebens nicht ins Bewusstsein kommen lässt – dann in der Tat haben wir alle oft genug Grund, ihn und seine Verhaltensweisen zu fürchten, wie die gegenwärtige Weltsituation zeigt. Wenn er aber in vollem Sinne Mensch ist, wenn er ein vollständiger Organismus ist, wenn das Bewusstsein (awareness) des Erlebens, das ein spezifisch menschliches Attribut ist, in voller Weise zur Wirkung kommt, dann kann man ihm trauen, dann ist sein Verhalten konstruktiv. Es wird nicht immer konventionell, nicht immer konform sein. Es wird sehr individuell sein, aber
gleichzeitig auch sozial (Rogers 1953).“ (1043)

Als die entscheidenden inneren (internalen) Bedingungen im Individuum, die mit konstruktivem kreativem Handeln verbunden sind, nennt Rogers:

  • Offenheit für Erfahrungen, Abwesenheit von Rigidität, Toleranz gegenüber Ambiguität, wo immer Ambiguität vorhanden ist,
  • der Ort der Bewertung eigenen Schaffens ist nicht external, sondern internal – entscheidend sind nicht Lob oder Tadel, sondern das Individuum mit seinem Gefühl und seinen Gedanken selbst,
  • die Fähigkeit, mit Ideen, Farben, Formen, Beziehungen spontan zu spielen und zu explorieren (1044).

Neben den jedem gelungenen therapeutischen Prozess und jedem kongruenten Erleben zugrunde liegenden Variablen – unbedingte Wertschätzung, Abwesenheit externaler Bewertung und einfühlendes Verstehen – ist es vor allem die psychologische Freiheit, d.h. die Freiheit im symbolischen Ausdruck, die die Kreativität fördert. Kreativität wird am besten gefördert, durch „die vollständige Freiheit, das zu denken, zu fühlen und zu sein, was auch immer in ihm [im Individuum, A.d.V.] ist“. (1045)

Hans Prinzhorns Sammlung von Bildern und Zeichnungen von Patienten aus Psychiatrien und seine Erkenntnis zur heilenden und verändernden Wirkung von Kreativität und künstlerischer Gestaltung haben zur Entwicklung der Kunsttherapie entscheidend beigetragen. (1046)

2012 Peter Milde

Endnoten:

1038 Joseph Beuys, Jeder Mensch ist ein Künstler, Gespräche auf der Dokumenta 1972, Aufgezeichnet von C. Bodemann-Ritter, Frankfurt am Main 1988, S. 68 f., Hervorhebung im Original.
1039 Carl Rogers, Auf dem Wege zu einer Theorie der Kreativität, in: Carl Rogers, Towards a theory of creativity, in: ETC: A Review of General Semantics, Nr. 11, 1954, S. 57 – 67, zitiert nach: Hilarion G. Petzold/Ilse Orth (Hrsg.), Die neuen Kreativitätstherapien, Paderborn 1990, S. 237–257.
1040 Ebenda, S. 240 f.
1041 Carl Rogers, Die Entwicklung der Persönlichkeit, Stuttgart 1976, S. 178.
1042 Vgl. Carl Rogers, Auf dem Wege zu einer Theorie der Kreativität, a.a.O., S. 242–244.
1043 Ebenda, S. 239 f., S. 241.
1044 Ebenda, S. 244–247.
1045 Ebenda, S. 252.
1046 Hans Prinzhorn (1886–1933), Kunsthistoriker und Psychiater, hatte an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg Bilder Geisteskranker gesammelt, die als Sammlung Prinzhorn bekannt wurde, und heute in Heidelberg in einem eigenen Museum ausgestellt wird. Prinzhorn veröffentlichte viele dieser Bilder und Zeichnungen in seinem Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ (Berlin 1922). Prinzhorn richtete den Blick auf die sich in den Bildern ausdrückende künstlerische Kreativität und sah in ihnen eine Möglichkeit, zur Psyche der Kranken Zugang zu finden. Prinzhorn hat damit für die Entwicklung der Kunsttherapie entscheidend mit beigetragen. Viele Künstler, wie Klee, Kandinsky aber auch die Surrealisten wurden durch den künstlerischen Ausdruck dieser Bilder beeinflusst.

Gericht – Bundstift auf Papier

Schnittmenge von Hans Prinzhorn mit Carl Rogers

Vorbemerkung zu den ausgewählten Zitaten aus Hans Prinzhorns Studie „Bildnerei der Geisteskranken“

Hans Prinzhorn gibt in der Einleitung zu seiner Studie „Bildnerei der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung“ einen Hinweis auf seine wissenschaftliche Methodik seiner Forschungen:  Forschung soll möglichst unvoreingenommen gegenüber dem Forschungsgebiet  sein, dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass sie voraussetzungslos, sozusagen theorielos betrieben wird. Entscheidend ist, dass die angewandte wissenschaftlich-theoretische Grundlage – hier die psychologischen Grundlagen der bildnerischen Gestaltung und damit auch für jede Betrachtung von Bildwerken – nicht willkürlich konstruiert, sondern dass diese Theorie selbst aus dem sinnlich erfahrbaren Leben entstanden ist.

Bereits hier finden wir eine wichtige Parallele zu Carl Rogers, dessen Theorie stets den Bezug zur therapeutischen Praxis behielt. Er betrachtete Forschung und Theorieentwicklung ebenfalls als das Bemühen, Ordnung in der subjektiven Erfahrung zu finden und die Psyche, wie die Welt überhaupt, als geordnet zu erkennen.

Im theoretischen Teil  der Studie legt Prinzhorn sehr anschaulich dar, dass kreativer Ausdruck und die Gestaltungskraft nicht alleine mit Ratio und mit auf der Ratio basierenden Technik  zu erfassen ist, sondern dass  – bei aller bewussten Suche nach einer angemessenen und zeitgemäßen Form – die  Gestaltungskraft als Tendenz (Drang oder Bedürfnis) immer auch subjektives seelisches Erleben von Gefühlen und Vorstellungen zum Ausdruck bringt. Bei allen ordnenden Überlegungen der bildnerischen Gestaltungen stellt Prinzhorn daher überzeugend fest, dass eine historische Quelle oder ein Ursprung von Kreativität und Kunst nicht auszumachen ist, da Kreativität und Kunst als Ausdrucks- und Gestaltungskraft eben Äußerung des Lebens, des Erlebens und der Gefühle und Bedürfnisse, ja allen Lebendigen selbst ist.

Dies erinnert an das Personzentrierte Konzept von Carl Rogers, der dem Menschen und dem Lebendigen überhaupt eine Tendenz zuschreibt, sich all seiner Fähigkeiten gemäß zu entwickeln, zu reifen, zu wachsen, auszudrücken und mit anderen Menschen und allem Lebendigen eine konstruktive Beziehung zu gestalten. Diese Fähigkeit nannte Carl Rogers Aktualisierungstendenz.

Prinzhorn kam beim Erforschen der Gestaltungskraft und ihres Ausdrucks zu dem Schluss,  dass diese sich überall zwischen zwei Polen bewegt, nämlich zwischen größter Naturnähe (Naturalismus, Überwiegen des Stofflichen) und größter Naturferne (Abstraktion und Überwiegen des Formalen) und dass sich dieses Prinzip sowohl beim Künstler, als auch beim Nichtkünstler, sowohl bei der Kunst der psychisch Kranken, als auch in allen Kulturen zu allen Zeiten findet. Die Gestaltungskraft selbst und ihr Ausdruck in der Gestalt, im Bild, das sich zwischen den Polen Naturalismus und Abstraktion bewegt, ist selbst frei von jeder Bewertung, da sie Ausdruck eines Lebensbedürfnisses ist.

Kreis der Kraft

Auch hier findet sich eine Parallele zum personzentrierten therapeutischen Prozess: Wenn im personzentrierten therapeutischen Prozess die Äußerungen und Gestaltungen der Person nicht bewertet, nicht beurteilt und nicht gedeutet werden, dann ist dies also kein methodischer Trick, sondern entspricht ganz dem Bedürfnis und Drang des Menschen seelische Vorgänge authentisch zum Ausdruck bringen zu wollen. Bewertungen und Beurteilungen oder gar Verurteilungen wären hierbei also nicht förderlich, sondern wären hinderlich. Im personzentrierten kunsttherapeutischen Prozess wird daher durch die akzeptierende, empathische und kongruente Haltung nicht nur eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung geschaffen, sondern der Person wird es dadurch im therapeutischen Prozess ermöglicht, durch freies Assoziieren über ihre symbolhafte Gestaltung einen Zugang zu finden zu ihren real erlebten Traumata und ihren verborgenen Konflikten, damit sie auf diese Weise Selbsterkenntnis und Reifung gewinnen kann. 

Und doch bezeichnen wir gemeinhin ein gestalterisches  Produkt als „gut“ und ein anderes als „schlecht“. Prinzhorn zeigt auf, dass diese Art der Bewertung immer mit der jeweiligen Kultur und den darin tradierten Interessen und Bedürfnissen zusammenhängt, in der der*die Betrachter*in lebt – also keinesfalls eine rein subjektiv geschmackliche Angelegenheit ist. Prinzhorn zeigt jedoch auch eine andere Art der Bewertung auf, die auf objektiven Aspekten der Betrachtung basiert: Ob die Gestaltungskraft des Schaffenden ein Anschauungsbild oder ein Gefühl so zum Ausdruck bringt, dass „ein geeigneter Beschauer ein möglichst ähnliches Erlebnis dazu haben kann“. Ob dies so erlebt wird, dies hänge davon ab, ob die Ausdruckskraft eines Bildes die „Polarität zwischen lebendiger Unmittelbarkeit und Formung“, den „Spannungsbogen von Erleben und Form“ möglichst ganz erfüllt.

Prinzhorn kommt in seiner Studie zur Bildnerei von psychisch Kranken und aus den Erfahrungen in der Psychotherapie zu dem Ergebnis, dass fast jeder Mensch unter geeigneten Umständen seine Konflikte in äußerst prägnanter symbolischer Einkleidung zu erleben vermag. Allerdings habe die zivilisatorische Entwicklung diese ursprüngliche Gestaltungskraft und diesen ursprünglichen Gestaltungsdrang verschüttet. Als Beispiel führt Prinzhorn neben der Schulbildung das krankhafte Erleben der Schizophrenen an.

Auch hier gibt es einen Bezug zum Personzentrierten Konzept von Carl Rogers: Nach Rogers ist der Mensch ein kreatives und sozial konstruktives Individuum, das mit der Tendenz (dem Bedürfnis) zur Entwicklung all seiner Fähigkeiten (Aktualisierungstendenz) ausgestattet ist und daher grundsätzlich die Fähigkeiten besitzt, neue Erfahrungen kongruent in sein Selbst zu integrieren. Jedoch können äußere Einflüsse (persönliche Beziehungen aber auch gesellschaftliche Bedingungen) diese Tendenz, diese Fähigkeiten blockieren. Die Person entwickelt dann ein entfremdetes, inkongruentes Selbst, verliert den Zugang zu seinen Bedürfnissen, Wünschen und Fähigkeiten, misstraut seinen Erfahrungen, bzw. wehrt bedrohliche Erfahrungen mittels unbewussten psychischen Mechanismen ab und kann schließlich (psychisch) krank werden.

Sehr vorausschauend waren auch die Ausführungen von Prinzhorn gegen die Diskriminierung von psychisch Kranken, gegen die Diskriminierung etwa von expressionistischen Künstlern und gegen rassistische Vorurteile  gegenüber fremden Kulturen (auch wenn wir heute gerade aus diesem Grunde nicht mehr von „Negern“ oder „Primitiven“ sprechen). Alle drei Gruppen wurden bekanntlich von der Nazi-Ideologie als „entartete Kunst“ diffamiert und von NS-Deutschland verfolgt oder gar als psychisch Kranke ermordet.

16. April 2019             Dr. Peter Milde

Zitate aus Hans Prinzhorns Studie „Bildnerei der Geisteskranken“

Der vollständige Text ist frei zugänglich unter: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/prinzhorn
(Die Zahlenangaben in Klammer des Textes verweisen auf die Seite im Original)

Vorurteilslose jedoch keine voraussetzungslose Betrachtung

„Unsere Darstellung soll vom Material ausgehen. Die Bildwerke sollen nicht nach einem festen Maßstabe gemessen und geprüft werden. Sondern so vorurteilslos, wie irgend möglich, wollen wir sie schauend zu erfassen suchen, und analysieren, was wir erschauen. So ernsthaft wir auf eine vorurteilslose Betrachtung ausgehen, so überlassen wir uns doch keineswegs der Illusion, als sei solchem Bemühen etwas, wie eine voraussetzungslose Betrachtung möglich. Wir schicken daher in einem theoretischen Teil kurz voraus, was uns an psychologischen Grundlagen für jede Betrachtung von Bildwerken gesichert erscheint.“  (10)

Kraft (Tendenz oder Bedürfnis) zum Ausdruck des Seelischen, die auf Gestaltung ihrer Selbst und auf Beziehung zum Du gerichtet ist

„Während (…) im Reiche des Erkennens mittels Begriffsbildung ein Gegenstand durch messbare Eigenschaften eindeutig beschrieben und in seinen wichtigsten materiellen Faktoren getroffen werden kann, versagt diese allein objektiv genannte Betrachtungsweise, sobald es sich um Ausdruckstatsachen handelt. (…) Nur ein Narr wird sich einreden, er könne das, was am Tone eines Geigers wesenhaft ist, durch akustische Messung von Schwingungszahlen und Klangfarben bestimmen. Oder gar den Ausdrucksgehalt eines späten, in tiefen Farben glühenden Bildes von Rembrandt durch Nachprüfung mit der Farbenskala. Wir (…) stellen in Gegensatz zu der Sphäre der messbaren Tatsachen das Reich der Ausdruckstatsachen, in dem Seelisches unmittelbar erscheint und ohne Zwischenschaltung eines intellektuellen Apparates ebenso unmittelbar erfasst wird. Und alle Ausdrucksbewegungen sind als solche keinem anderen Zweck wesenhaft unterworfen als dem einen: Seelisches zu verkörpern und damit die Brücke zu schlagen vom Ich zum Du. (…) Wir finden die Ansätze dazu schon unter ganz einfachen Umständen: beim Kinde, das im Verlauf seines Spieles einen lustigen Tanz erfindet oder eine Kritzelei auf der Tafel entwirft, die dem intimen Kenner sehr wohl nach ihrem Ausdruckswert deutbar ist; (…) und ähnlich bei zahllosen Vorgängen, in denen Seelisches Gestalt gewinnt. Wollen wir uns nun nicht darauf beschränken, die sichtbaren Niederschläge solcher Ausdrucksvorgänge deskriptiv zur Kenntnis zu nehmen, sondern psychologisch in diese Vorgänge selbst eindringen, so müssen wir den Antrieb, um nicht zu sagen die Kraft, benennen, die darin erscheint. Wir sprechen also von einer Tendenz, einem Drang, einem Bedürfnis zum Ausdruck des Seelischen und meinen damit jene triebhaften Lebensvorgänge, die an sich keinem außerhalb ihrer selbst liegenden Zwecke unterworfen, sondern sich selbst genug nur auf Gestaltung ihrer selbst gerichtet sind. Eine theoretische Begründung dieser Meinung kann hier auch im Umriss nicht versucht werden, weshalb wir vorziehen, diese Sätze einfach als zentralen Beziehungspunkt aller Untersuchungen dieses Buches hinzustellen.“  (17 – 18)

Gestaltungsdrang und Gestaltungsvorgang

„Das Ausdrucksbedürfnis ist nur als allgegenwärtiges Fluidum zu begreifen, wie der Eros. Darum kann man niemanden auch nur von der Existenz eines derartigen Fluidums überzeugen, der es nicht aus unmittelbarem Erleben kennt. (…) Eng benachbart dem zentralen Ausdrucksbedürfnis und ihm dann verwandt, dass sie noch kaum durch Objekte determiniert sind, scheinen nur zwei solcher Triebe, Dränge, Bedürfnisse (auf die Wahl des Wortes kommt hier wenig an) nämlich der Spieltrieb und der Schmucktrieb. (…) Ausdrucksbedürfnis, Spieltrieb und Schmucktrieb schießen zusammen in dem Gestaltungsdrang (…) Man (…)  (wird) auf keinen Fall einen „Ursprung der Kunst“ in historischem Sinne jemals nachweisen können. Es gibt nicht „Kunstwerke“, wie es Steinbeile oder Pfeilspitzen gibt — die sind als zweckbestimmte Werkzeuge entweder vorhanden oder nicht, und alles Weitere ist eine Frage der Technik. Der Gestaltungsvorgang, der in einem Kunstwerk von heute sich verwirklicht, wird gespeist aus sehr verschiedenartigen seelischen Bezirken. Und seine Quellen brauchen nicht alle zusammengeflossen zu sein, ehe sie den Namen Gestaltung verdienen. Vielmehr könnte man das Gleichnis so einkleiden: wie sickerndes Wasser im Boden zutage drängt und in vielen Quell-Läufen zum Strome rinnt, so drängen und rinnen Ausdrucksimpulse auf vielen Gestaltungsbahnen zu dem großen Strome der Kunst. Historisch wie psychologisch-theoretisch kein Anfangspunkt, sondern weite Quellgebiete, die schließlich alles Lebendige durchdringen.“ (19 – 21)

Pastellkreide auf Papier

Gestaltungskraft und Wertmaßstäbe

„Reale Gegenstände können in sehr verschiedenartiger Weise darstellend geformt werden, und doch handelt es sich jedes Mal, sobald nur überhaupt eine Abbildetendenz wirksam ist, darum, ein Anschauungsbild in räumlich-körperliche Form umzusetzen. Der psychische Grundvorgang ist derselbe. Alle stilistisch-formalen Besonderheiten sind sekundär. Sie betreffen, psychologisch gesprochen, nur die Einstellung des Gestaltenden zu seinem Gegenstand. Und diese schwankt zwischen den Polen größter Naturnähe (Naturalismus, Überwiegen des Stofflichen) und größter Naturferne (Abstraktion, Überwiegen des Formalen). Von einem Pole zum anderen gibt es nur fließende Übergänge, keinen Gegensatz. (…) Wir haben bisher rein psychologisch von einem Gestaltungsvorgang gesprochen, der sich überall prinzipiell gleichmäßig wiederholt. (…) Nunmehr müssen wir uns doch nach Wertmaßstäben umsehen, oder mindestens nach den Gesichtspunkten, unter denen möglicherweise gewertet werden kann. Die unter Künstlern übliche lakonische Wertung, ein Werk sei „gut“ oder „schlecht“, wird uns nicht viel nützen. Stammt ihr Maßstab doch stets aus einem bestimmten Milieu, in dem jetzt diese Art zu gestalten für gut gilt. (…) Das eigentliche Beziehungszentrum aller Wertungen (…) scheint, (…) nur in einer Polarität zu beruhen: zwischen lebendiger Unmittelbarkeit und Formung ist alles Gestaltete ausgespannt und auf das Maß dieser Spannung allein kann letzten Endes unsere Wertung sich berufen. (…) Wir müssen den Inbegriff dessen, was ein Bildwerk als stärker gestaltet, aus anderen heraushebt, als Gestaltungskraft des Urhebers bezeichnen. Darunter verstehen wir seine Fähigkeit, was ihn bewegt — sei es Anschauungsbild oder Gefühl — so in ein Bildwerk umzusetzen, dass ein geeigneter Beschauer ein möglichst ähnliches Erlebnis daran haben kann. Die Gestaltungskraft wurzelt also im gesamten seelischen Lebensbereich, sofern er Ausdrucksimpulse aus sich herausschickt.“  (45 – 48)

Der allen Menschen wesenhaft eigene originale Gestaltungsdrang wird durch die zivilisatorische Entwicklung verschüttet

„Konnten wir an unserem Material zeigen, dass aus diesen vorwiegend unbewussten Komponenten Bildwerke hervorwuchsen, die in mannigfach wechselnder Weise sich berufsmäßig entstandenen Kunstwerken aller Art annäherten, so folgt daraus: Tradition und Schulung vermögen den Gestaltungsvorgang  nur an seiner Peripherie zu beeinflussen, indem sie durch Lob und Tadel Regeln und Schematismen fördern. Es gibt aber sozusagen einen Kernvorgang, zu dessen Ablauf in jedem Menschen die Fähigkeiten vorgebildet sind. Dieser Satz wird durch zahlreiche Erfahrungen gestützt. Wir wissen heute, dass die meisten Kinder einen originalen Gestaltungsdrang besitzen, der sich in geeigneter Umgebung frei entwickelt, aber schnell schwindet, denn wenn der rationale Überbau des Schulunterrichts aus dem triebhaft spielenden Geschöpf ein wissendes und zweckhaft wollendes macht. (…) Wenn man daher, zumal in der Psychotherapie, immer wieder die Erfahrung macht, dass fast jeder Mensch unter geeigneten Umständen seine Konflikte in äußerst prägnanter symbolischer Einkleidung zu erleben vermag, so ist diese Tatsache ebenfalls in derselben Richtung verwertbar, wie unsere Überlegungen. Wir würden also zu der Annahme gezwungen, dass ein originaler Gestaltungsdrang, der allen Menschen wesenhaft eigen ist, durch die zivilisatorische Entwicklung verschüttet worden ist.“  (344)

Wachsmalstifte auf Papier

Das schizophrene Weltgefühl unserer Zeit, die expressive, surrealistische und die Kunst der „Geisteskranken“

„Das schizophrene Weltgefühl und unsere Zeit: (…) Wie wir es ablehnen mussten, das Wesen schizophrener Gestaltung an äußeren Merkmalen darzulegen, so lehnen wir es nicht minder ab, durch Vergleich äußerer Merkmale Parallelen zwischen der Zeitkunst und unseren Bildern zu ziehen, wie das nicht nur von Laien, sondern sogar von namhaften Psychiatern in platter und sensationeller Weise in der Tagespresse geschieht. (…) Der Schluss: dieser Maler malt wie jener Geisteskranke, also ist er geisteskrank, ist keineswegs beweisender und geistvoller als der andere: Pechstein, Heckel u. a. machen Holzfiguren wie Kamerunneger, also sind sie Kamerunneger. Wer zu so einfältigen Schlüssen neigt, hat keinen Anspruch, ernst genommen zu werden. (…) Von der Seite der äußeren Merkmale werden wir also den unzweifelhaften tiefen Beziehungen nicht beikommen können. Weit ergiebiger scheint es, den verwandten Zügen in der allgemeinen Gefühlshaltung der letzten Kunst die Aufmerksamkeit zuzuwenden. Und da finden wir in der Tat als einen Grundzug die Abkehr von der schlicht erfassten Umwelt, ferner eine konsequente Entwertung des äußeren Scheins, an dem die gesamte abendländische Kunst bislang gehangen hatte und schließlich eine entschiedene Hinwendung auf das eigene Ich. Diese Formeln aber sind uns bei unseren Bemühungen, das Weltgefühl des Schizophrenen zu umschreiben, ganz geläufig geworden.

Damit stehen wir vor der überraschenden Tatsache, dass die Verwandtschaft zwischen dem schizophrenen Weltgefühl und dem in der letzten Kunst sich offenbarenden nur in den gleichen Worten zu schildern ist, woraus uns sogleich die Verpflichtung erwächst, nunmehr auch die Unterschiede zu formulieren. Und das ist nicht schwer. Dort beim Schizophrenen ein schicksalsmäßiges Erleben. Ihm legt sich die „Entfremdung der Wahrnehmungswelt“ als ein grauenhaftes, unentrinnbares Los auf, gegen das er oft lange kämpft, bis er sich fügt und langsam in seiner wahnhaft bereicherten autistischen Welt heimisch wird. Hier beim Künstler unserer Tage geschah die Abwendung von der einst vertrauten und umworbenen Wirklichkeit (…) infolge quälender Selbstbesinnung, weil das überkommene Verhältnis zur Umwelt zum Ekel wurde, und sie ist daher oft getragen von Zweifeln, bösem Gewissen und Ressentiment. Andererseits hatte sie wenigstens theoretisch klare Ziele. Der Tendenz nach sollte die Loslösung vom Zwange der äußeren Erscheinung so vollkommen sein, dass alle Gestaltung nur noch mit unverfälschtem seelischen Besitz zu tun hätte und aus völlig autonomer Persönlichkeit quölle.“ (346 – 347)

„Dies sind in knappen Worten die Ergebnisse unserer Untersuchung und die Probleme, die dadurch aufgeworfen wurden: Ungeübte Geisteskranke, besonders Schizophrene, schaffen nicht selten Bildwerke, die weit in den Bereich ernster Kunst ragen und im Einzelnen oft überraschende Ähnlichkeiten zeigen mit Bildwerken der Kinder, der Primitiven und vieler Kulturzeiten. Die engste Verwandtschaft aber besteht zu der Kunst unserer Zeit und beruht darauf, dass diese in ihrem Drange nach Intuition und Inspiration seelische Einstellungen bewusst erstrebt und hervorzurufen sucht, die zwangsläufig in der Schizophrenie auftreten.  (…) Die Abgrenzung unserer Bildwerke von bildender Kunst ist heute nur auf Grund einer überlebten Dogmatik möglich. Sonst sind die Übergänge fließend. Von der These ausgehend, dass bildnerische Gestaltungskraft in jedem Menschen angelegt ist, müssen wir Tradition und Schulung als äußere kulturelle Verbrämung des primären Gestaltungsvorganges ansehen, der unter günstigen Umständen aus jedem Menschen hervorbrechen kann. Diesen Kernvorgang, in dem die unbewussten Komponenten der Gestaltung sich fast rein verkörpern, können wir an keinem Material besser studieren, als an diesem. Dass die Geisteskrankheit in den Bildner nicht eigentlich neue Komponenten hineinträgt, ließ sich mit Hilfe des Vergleichsmaterials zeigen.“ (349 – 351)

Zu Hans Prinzhorns Studie „Bildnerei der Gefangenen“

Der vollständige Text ist frei zugänglich unter: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/prinzhorn1926
(Die Zahlenangaben in Klammer des Textes verweisen auf die Seite im Original)

Vorbemerkung:

Im Unterschied zur Studie zur Bildnerei der Geisteskranken konnte Hans Prinzhorn für seine Studie zur „Bildnerei der Gefangenen. Studie zur bildnerischen Gestaltung Ungeübter“ auf  viel weniger Beispiele zurückgreifen. Dies hatte, wie Prinzhorn bemerkte, mehrere Gründe: Zum einen stand den Gefangenen Papier meist nur begrenzt zur Verfügung und zum anderen vernichtete die Gefängnisverwaltung  Bilder, Zeichnungen und sonstige gestalterische Ausdrucksformen  in der Regel. Trotzdem versuchte sich Prinzhorn an einer formalen und psychologischen Systematisierung des bildnerischen Ausdrucks der Gefangenen.

Einige Aussagen Prinzhorns zu den Gefangenengruppen sind zeitbedingt und daher nicht einfach auf die heutige Situation übertragbar. Gleiches gilt daher z.T.  auch für Prinzhorns Analyse, Kategorisierung und Charakterisierung des bildnerischen Ausdrucks und der Gestaltung.  

In der kreativ-künstlerischen und kunsttherapeutischen Krisenintervention und Suizidprävention bestätigen sich jedoch auch Feststellungen Prinzhorns, wie etwa die Folgenden:

  • Realistisch-sachliche Abbildungen von Gegenständen und Begebenheiten finden sich vermehrt bei Gefangenen, die eine gewisse stabile Psyche erreicht haben.
  • Die  bildnerischen Gestaltungen der Gefangenen sind sehr häufig davon motiviert, ihre Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche, Erinnerungen und Erleben allegorisch und symbolhaft auszudrücken. 

Am letzten, unten wiedergegebenen Zitat ist zu erkennen, dass Prinzhorn die negative Wirkung des Gefängnismilieus auf die Psyche der Gefangenen sehr genau kannte. Die Bildnerei der Gefangenen – im Unterschied zur Bildnerei der psychisch Kranken – spiegelt daher nicht nur Charakter und Psyche der Gefangenen wider, sondern wird ganz wesentlich vom Gefängnismilieu und deren Wirkung auf die Psyche und Vorstellungen der Gefangenen beeinflusst. Unsere Erfahrungen in der Krisenintervention bestätigen die Einschätzung Prinzhorns, dass diese, sich im Gefängnismilieu entwickelnde Typik des Gefühlslebens der Gefangenen sich in der Vorliebe für die bildnerische Gestaltung subjektiv bedeutsamer, allegorischer und symbolhafter Motive ausdrückt. Die künstlerisch-gestalterische Betätigung im therapeutischen Prozess kann jedoch gerade an diesem Bedürfnis der Gefangenen, ihrer  Gefühls- und Lebenswelt Ausdruck zu geben, konstruktiv ansetzen und wird daher von der großen Mehrzahl der Gefangenen in der Krisenintervention und Suizidprävention dankbar und hilfesuchend angenommen.

30.4.19            Dr. Peter Milde

Einige Aussagen Prinzhorns zu den Gefangenengruppen sind zeitbedingt und daher nicht einfach auf die heutige Situation übertragbar. Gleiches gilt daher z.T.  auch für Prinzhorns Analyse, Kategorisierung und Charakterisierung des bildnerischen Ausdrucks und Gestaltung.  

Zitate:

Bildwerke auf Zellenwänden und Gebrauchsgegenständen

„Zellenwände und Gebrauchsgegenstände der Einrichtung werden bekritzelt, bemalt, mit Schnitzereien bedeckt. Die Zellenwände samt den Türen sind zweifellos die sozusagen natürlichen Bildflächen für den Gefangenen, zumal wo es sich um Einzelhaft handelt. Einsam seinen schweifenden Erinnerungen, Gedanken und Wunschphantasien hingegeben, fühlt er sich von den kahlen Wänden angezogen. Bald mag das Schattenspiel kleiner Unebenheiten ihm Figuren vorgaukeln, bald sein Spieltrieb ihn reizen, irgendwie das Einerlei des abschließenden Gemäuers zu beleben, bald ein dunkler Ausdrucksdrang ihn verleiten, für Erlebtes und Erträumtes eine Form zu finden, ohne daran zu denken, wie schwer die Mittel bildnerischer Gestaltung zu handhaben sind. Einfacher freilich ist es heute, wo jedermann schreiben kann, mit Worten zu sagen, was einen beschäftigt — und so überwiegen denn die Inschriften weitaus. Mindestens ist Schrift und Zeichnung gemischt. Bildwerk allein, ohne Inschrift, ist ganz selten. Wir kennen die Neigung, Tisch und Wände zu beschmieren, ja nicht nur, dem Sprichwort gemäß, an Narrenhänden, sondern müssen wohl eine ganz allgemeine Erscheinungsform oder Ausdrucksweise eines Zustandes von Zwangsisolierung darin erblicken. Dabei scheint es (…), dass man sich vor dem Zwang der Umgebung „aus Langeweile“ auf ein passiv-träumerisches Seinsgefühl zurückzieht und dadurch frei aufsteigenden Einfällen Raum gibt und sie mehr oder weniger spielerisch formt.“ (11)

Reine Abbildung von Sachen und Begebenheiten

„Wenn der Gefangene sich in realistisch-sachlicher Einstellung mit der Umwelt beschäftigt, sie sich rein anschaulich vergegenwärtigt und sie bildhaft darzustellen sucht, so kann man eines wohl mit Sicherheit sagen: Er ist dann zu einer Objektivität gelangt, die nur möglich ist, wenn er seine persönlichen Probleme und Nöte, den unentrinnbaren aufdringlichen Zwang seiner Umgebung, innerlich überwunden hat. Ohne solches Überwinden, sei es ein trotziges Sicheinrichten hinter Kerkermauern, sei es ein reumütiges Sichbeugen vor Sitte, Gesetz, Staatsmacht, oder ein gelassenes Sichabfinden mit dem Schicksal, gelangt niemand zu realistischer Sachlichkeit. Und damit ist für den Kenner der Verbrecherpsyche sogleich die Erklärung dafür gefunden, weshalb solche rein realistischen, ohne persönliche Tendenz aufgebauten Bildwerke fast nicht vorkommen. Das angedeutete Reifestadium ist höchst selten, Neigung zu bildnerischer Gestaltung nicht minder selten — wie vereinzelt werden erst die Fälle sein, wo beides einmal zusammentrifft.“ (20-21)

Buntstifte auf Leinwand

Allegorisch-symbolische Bedeutung des Bildwerks

„Das schönste und klarste Beispiel für eine bildnerische Entäußerung, die weder dekorativ, noch im Sinne der optischen Anschauung darstellend, einen Naturabschnitt abbildend, gemeint ist, gibt die Tonderner Holztafel (Abbildung 29). Eine riesengroße Hand über einem im Vergleich dazu etwa hundertfach verkleinerten Haus. Wie oft mag man solche Zusammenfügungen für zufällig halten, oder auf eine Deutung verzichten, weil kein erweisbarer Anknüpfungspunkt dafür gegeben ist. In diesem Falle aber überhebt uns eine Inschrift jeglicher kombinierenden Erwägung. Denn es findet sich, nicht eingeschnitten, sondern nur oberflächlich mit Bleistift eingekratzt, der Spruch:

Er streckt die Hand
Und schrüh nach Brot
Aber das Haus war arm.

Hier haben wir zweifellos die typische Einstellung vor uns, aus der die meisten bildnerischen Versuche entspringen: Wohl steckt eine ganz bestimmte Erinnerung an ein Erlebnis wahrscheinlich darin, samt dem Bild eines bestimmten Hauses. Aber stärker noch lebt die Erinnerung an die ausgestreckte Hand nach, die vergebens eine Gabe heischte, und stärker als beides wohl die Enttäuschung des Abgewiesenen. Diese eigentlich ist das zeugende Moment, gleichgültig ob sie etwa noch einen besonders charakteristischen Gefühlston (Beschämung, Ärger, Hunger) trägt, oder in einem abgebrühten Berufslandstreicher fast nur noch formelhaft anklingt. Der Gefühlston einer Situation, meist sentimental gefärbt und sozusagen schon nicht mehr individuell, sondern in einem konventionellen Seelenjargon erlebt, liefert den Impuls zur Entäußerung. Diesem Impuls steht Wort- und Bildform zur Verfügung (28-29). …  Den Inbegriff einer allegorischen Zeichnung bietet das mit Bleistift angefertigte Blatt „Zuchthausklatsch“. …  Über die Bedeutung seiner Zeichnung hat der Gefangene folgende Erklärung gegeben: er habe die Neugier und die Klatschsucht seiner Mitgefangenen zum Ausdruck bringen wollen. … Jeder Gefangene suche … alles zu erspähen, was in den Nachbarzellen, auf den Korridoren und im ganzen Hause vor sich gehe. … Jeder Sinn und jeder Nerv sei angespannt, um trotz aller Schlösser und Mauern Fühlung mit der Außenwelt zu behalten.“ (30).

Gefühls- und Vorstellungswelt

„Nehmen wir einmal ganz unsentimental und sachlich zunächst nicht den Verbrecher, sondern den Strafgefangenen als einen Menschen, dem die freie Selbstbestimmung im sozialen Leben genommen ist, der sich in den Zwang eines genauen Reglements hinter Kerkermauern zu fügen hat, so verstehen wir als erste naturgemäße Reaktion die innere Auflehnung gegen solche, im Namen eines anonymen Rechts und kraft einer effektiven Macht verhängte Zwangsmaßnahme. Der Wunsch des Häftlings geht auf Freiheit, auf Betätigung seiner Liebhaberei, sei dies nun Familien- oder Abenteuerleben, Arbeit oder Faulenzerei, Lebensgenuss, Wein und Weiber (sanktioniert oder nicht durch genügenden Besitz und gepflegte Aufmachung), direkter Diebstahl und Raub oder erlaubter raffinierter Betrug, Lustmord oder legale sadistische Tyrannei im Familienschoße bis zum Suizid des Feineren. Über die Forderung, sich nach der Vorschrift ordentlich zu benehmen und als Nummer X bescheiden zu vegetieren, schwingt sich also je nach der Vitalität die Wunschphantasie kühn hinweg und spielt mit entbehrten und ersehnten Dingen.

Dieser natürliche Lebensdrang gesunder Menschen bei radikaler gewaltsamer Behinderung jeder eigenen Betätigung kennzeichnet die seelische Situation jedes Gefangenen, bringt eine Spannung, eine Opposition, einen dumpfen Druck hervor. Nun scheiden sich die Veranlagungen: der Impulsive, Leichtreagible wird unruhig, zappelig, unternehmungslustig; der Stumpfe, Schwerreagible wird passiv, abwartend, dabei gleichgültig oder misstrauisch; der Ehrgeizige, Geltungsbedürftige wird gierig, schlau, diplomatisch beobachten, durch Stolz oder Demut Eindruck zu erwecken suchen. Dies alles sind noch sozusagen präformierte Auswirkungen des Gefangenseins. In diesem seelischen Anstaltsgewande nun äußern sich erst die substanziellen persönlichen Eigenschaften der Einzelnen, die also erst nach Abzug jener Milieuwirkungen rein erkennbar werden.“ (35)

Wunschbild – Wasserfarbe auf Papier

Zur Verbindung von kreativen Therapien mit dem Personzentrierten Ansatz

Ich möchte auf einen sehr informativen Artikel von Natalie Rogers zur „Expressive Arts Therapy“ hinweisen, der im Internet frei zugänglich ist. „Expressive Arts Therapy“ basiert auf dem Personzentrierten Ansatz von Carl Rogers und integriert in diesen Ansatz non-verbale, kreative Therapien, wie Tanz-, Kunst-, Musiktherapie und improvisiertes Theater („creative connection“). Der authentisch-kreative non-verbale Ausdruck kommt nach Natalie Rogers zum großen Teil aus dem Unbewussten, den Gefühlen und der Intuition. Sich im Prozess der „Expressive Arts Theory“ selbst kreativ auszudrücken, setze daher einen Wachstumsprozess der Person und in der Person in Gang. Insofern der*die Therapeut*in in der „Expressive Arts Theory“ etwa Bewegung, Kunst- und Schreibmethoden anbietet, leitet er*sie die Person an und zeigt ihr Möglichkeiten des non-verbalen und kreativen Ausdrucks, damit sie im Malen, Tanzen, Schreiben, Theater spielen oder Musizieren das kreative Vokabular findet, damit sie mit ihrem Körper ihre Innenwelt ausdrücken kann. Verlässt Natalie Rogers in diesem Moment des „Anleitens“ das Postulat der nicht direktiven Haltung, so kehrt sie jedoch im therapeutischen Prozess wieder in diese „non-directive“ Haltung der personzentrierten Therapie zurück und überlässt der Person ihre Freiheit der kreativen Gestaltung und die Führung in ihrer Therapie.

15. April 2019               Dr. Peter Milde

Wer diesen Artikel lesen möchte, folge diesem link: https://www.psychotherapy.net/article/expressive-art-therapy#section-what-is-expressive-arts-therapy

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