FIPS NEWS Nr. 16: Zur Vernichtung der griechischen Juden Thessalonikis durch die NS-Besatzer

Editorial

„Erziehung nach Auschwitz“ soll nach Adorno dazu befähigen, „Nein“ zu sagen zu Rassismus, zu Faschismus und zu Ungerechtigkeit. Daher ist die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit Deutschlands auch Bestandteil der Erziehung und Bildung der jungen Generation in Deutschland und steht unter dem Motto: „Aus der Vergangenheit für die Gegenwart und die Zukunft lernen“.

„Zur Vernichtung der griechischen Juden Thessalonikis durch die NS-Besatzer“ ist der letzte Abschnitt des am 2. Juni 2018 gehaltenen Vortrags „Zur Rolle der NS-Besatzer und der NS-Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg im besetzten Griechenland“.

Die vorherigen Abschnitte des Vortrags sind bereits in FIPS-NEWS erschienen:

• FIPS-NEWS Nr. 11:
Vorbemerkung: Die Verbrechen der NS-Wehrmacht in Griechenland und „die allererste Forderung
an Erziehung“.
Die Unterwerfung Griechenlands – Ziel NS-Deutschlands von Anfang an.

• FIPS-NEWS Nr. 12:
Zum Angriffskrieg der NS-Wehrmacht gegen Griechenland und zu dessen Folgen für die
griechische Bevölkerung.

• FIPS-NEWS Nr. 13:
Zu den Verbrechen der 117. Jägerdivision der deutschen Wehrmacht auf dem Peleponnes.

Der gesamte Vortrag wurde auf dem Sommertreffen des Mindener Kreises e.V., das vom 1. – 3. Juni 2018 in Petershagen stattfand, gehalten. Das Sommertreffen stand unter dem Thema „Die Jungenschaft und Griechenland“.

1.3.2020 Dr. Peter Milde

Zur Vernichtung der griechischen Juden Thessalonikis durch die NS-Besatzer

Die Vernichtung der Juden hatte eine grundlegende Priorität für die NS-Politik und den NS-Krieg, denn erst die Besetzung ermöglichte es NS-Deutschland die Vernichtung der europäischen Juden in die Tat umzusetzen. Die Politik der NS-Besatzer gegenüber den thessalonischen Juden zeigt, dass neben dem Terror eine perfide und hinterhältig angelegte betrügerische Politik es ermöglichte, die Juden über die mörderischen Absichten zu täuschen, sie hinzuhalten, in Sicherheit zu wiegen und ihnen Hoffnung zu machen. Als dann der Zeitpunkt der Deportation in die Vernichtungslager feststand, setzten die NS-Mörder ihr ganzes Programm der Terrorisierung der Juden mit hoher Geschwindigkeit um. Erst zwei Wochen vor dem 15.3.1943, dem Beginn der Deportationen wurden die fünf Ghettos in Thessaloniki errichtet. Wäre dies früher geschehen, hätten Viele mehr fliehen können.

Das Ausmaß des Holocausts an den griechischen Juden ist schrecklich. Von 77.400 Juden, die in Griechenland lebten, überlebten 10.200. Ausgelöscht von den NS-Besatzern wurden 86%. An der Stadtbevölkerung Thessalonikis hatte die jüdische Bevölkerung einen Anteil von 23,7%. Von den 55.250 Juden Thessalonikis wurden 96% ermordet. Die thessalonischen Juden waren zum Großteil einfache Tagelöhner und Hafenarbeiter, viele waren bettelarm und viele waren auf Hilfeleistungen der jüdischen Gemeinde angewiesen.

Foto an einer Eingangstür, Saloniki, Mai 1941, Atlantic Pressebilderdienst, die für das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda arbeitete. Bundesarchiv, Bild 183-R99237 / gemeinfrei CC-BY-SA 3.0

Vom April 1941 bis zum Juli 1942, also 15 Monate schien es, als würden die deutschen Besatzer die Juden in Thessaloniki in Ruhe lassen. Allerdings wurden sofort mit der deutschen Besetzung Thessalonikis am 9.4.41 die jüdischen Zeitungen verboten und die Mitglieder des jüdischen Gemeinderates und Honoratioren der jüdischen Bevölkerung Thessalonikis verhaftet, darunter auch der Oberrabbiner Dr. Zvi Koretz, da diese gegen die Zerstörung einer jüdischen Synagoge protestierten. In den von den NS-Besatzern kontrollierten Zeitungen und im Radio wurde zwar täglich judenfeindliche Propaganda verbreitet und es wurden jüdische Geschäfte geplündert oder ihre Besitzer gezwungen, sie weit unter Wert an Kollaborateure zu verkaufen, doch solche Maßnahmen trafen auch christliche Griechen in Thessaloniki.

In Wirklichkeit hielten sich die NS-Besatzer nur aus einem Grunde in diesem Zeitraum zurück: Die NS-Besatzer hatten es auf das Vermögen der jüdischen Gemeinde und das Vermögen und den Besitz der thessalonischen Juden abgesehen, das 1945 nach heutiger Währung auf 1,5 Mrd. Euro geschätzt wurde. Und die NS-Besatzer ließen sich für diesen Zweck eine Menge Tricks und Täuschung einfallen.

Viele der anfangs festgenommenen Juden wurden bald freigelassen und die Juden Thessalonikis schöpften Hoffnung. Zvi Koretz jedoch wurde nach Wien gebracht und dort 9 Monate inhaftiert. Das bereits Anfang 1941 ins Leben gerufene Sonderkommando Rosenberg hatte die Aufgabe, wertvolle jüdische Bücher, Handschriften, Kunstgegenstände, Sakralobjekte und Archivmaterial der jüdischen Gemeinde und der Synagogen ausfindig zu machen und ging mit Beginn der deutschen Besetzung Thessalonikis sofort daran, diese zu beschlagnahmen. Auch die Banksafes von 2300 jüdischen Einzelpersonen leerte das Sonderkommando Rosenberg. Der Oberrabbiner Zvi Koretz, der Anfang 1942 wieder nach Thessaloniki zurückkehren durfte, geriet mit Saltiel über dessen kollaborierende Tätigkeit in Streit. Dies war Anlass für die deutschen Besatzer Rabbi Koretz erneut festzunehmen.

Erfassung jüdischer Männer zur Zwangsarbeit, Propagandaaufnahme der Wehrmacht (Juli 1942)
Bundesarchiv, Bild 101I-168-0894-19A / Dick / gemeinfrei CC-BY-SA 3.0

Die erste offizielle judenfeindliche Maßnahme war der Befehl des Militärbefehlshabers für Thessaloniki-Ägäis, Generalleutnant Curt von Krenzski, dass sich alle Juden zwischen 18 und 45 Jahren am 11. Juli 1942 auf dem Freiheitsplatz im Stadtzentrum Thessalonikis einzufinden hätten. 9.000 Juden mussten dort stundenlang ohne Essen und Trinken in der Hitze stehen, wurden geprügelt und gedemütigt, mussten Gymnastikübungen machen und wurden in Listen eingetragen, erhielten Ausweise und erfuhren, dass man sie nun zur Zwangsarbeit eingezogen hatte. Die Registrierung der Juden Thessalonikis wurde auf diese Weise an den folgenden Tagen fortgesetzt.

Demütigung der thessalonischen jüdischen Männer bei der Zwangsmusterung
Bundesarchiv, Bild 101I-168-0895-07A / Dick / gemeinfrei, CC-BY-SA 3.0

Etwa 5.500 Juden wurden zur Zwangsarbeit beim Bau von Straßen in der Nähe von Thessaloniki, in Bergwerken aber auch in Niederlassungen deutscher Firmen als Zwangsarbeiter eingesetzt. Sie arbeiteten 10 Stunden am Tag, entlohnt wurden sie nicht, stattdessen wurden sie bei der Arbeit ständig misshandelt und gedemütigt. Die schwere Arbeit und die schlechte und viel zu geringe Ernährung ließ viele erkranken und die ersten Toten wurden nach Thessaloniki zurückgebracht.

Geschickt entledigten sich die NS-Besatzer der Verantwortung für die jüdischen Zwangsarbeiter. Saltiel, der damalige Vorstand der jüdischen Gemeinde, schloss mit dem Wehrmachtsoffizier Dr. Max Merten, der als Kriegsverwaltungsrat der Kopf der deutschen Besatzungsverwaltung in Thessaloniki war, einen Vertrag für ein „Sonderkomitee zur Rekrutierung und Freistellung“ jüdischer Zwangsarbeiter, das von nun an für die Lebensumstände und die ärztliche Hilfe zuständig war.

Durch Geldzahlung an die NS-Besatzer konnten sich Juden von der Zwangsarbeit freistellen lassen. Auf diese Weise erhielt die deutsche Besatzungsmacht für die Freistellung von 7.500 Personen mindestens 750 Mio. Drachmen Lösegeld. Auf Forderung eines deutschen Unternehmers, der jüdische Zwangsarbeiter durch griechische Arbeiter ersetzen wollte, wurde Zvi Koretz für die Verhandlungen im September 1942 wieder freigelassen.

Bei der Beaufsichtigung der jüdischen Zwangsarbeiter gingen die deutschen Bewacher der paramilitärische Einheit Todt äußerst brutal vor. Wer sich widersetzte, wurde sofort erschossen. Angesichts der erbärmlichen Lage der Zwangsarbeiter verfasste ein Vorstandsmitglied des Sonderkomitees eine Petition. Im Oktober 1942 erpresste Merten daraufhin 10.000 englische Goldpfund von der jüdischen Gemeinde für die Freilassung von jüdischen Zwangsarbeitern.

Um die jüdische Gemeinde weiter auszurauben, schlug Merten Anfang November 1942 vor, dass statt der jüdischen Zwangsarbeiter Christen zur Arbeit eingesetzt werden, sofern die jüdische Gemeinde die Lohnkosten übernähme, die Merten auf 3.5 Mrd. Drachmen (das entsprach damals ca. 100.000 US-Dollar) bezifferte. Schließlich musste die jüdische Gemeinde 2 Mrd. Drachmen bis zum 15.12.1942 in englischen Goldpfund aufbringen, damit die jüdischen Zwangsarbeiter freikamen. Insgesamt zahlten die Juden Thessalonikis im November und Dezember 1942 an die deutsche Besatzung 25.000 britische Goldpfund, das entsprach 500 Tausend Reichsmark.

Als Ausgleich für die fehlenden 1,5 Mrd. Drachmen wurde der 35 Hektar große Friedhof der jüdische Gemeinde mit fast 500.000 Gräbern enteignet. Die Zerstörung des jüdischen Friedhofs führten griechische Arbeiter der Stadtverwaltung Thessalonikis im Dezember 1942 aus. Er wurde in kurzer Frist in Bauland umgewandelt und verkauft. Die Grabsteine wurden als Baumaterial vermarktet. Die Gutschrift der Erlöse erfolgte auf einem Konto der griechischen Notenbank und diente dazu die inflationär gewordene Drachme zu stützen. Merten verwendete das Geld u.a. für die Bezahlung der im deutschen Dienst stehenden griechischen Arbeiter.

Merten täuschte systematisch die jüdische Gemeinde von Thessaloniki und wog sie in Sicherheit mit den Versprechen, dass die NS-Rassengesetze nicht angewendet würden und dass sich alles finanziell regeln ließe. Von Merten sagte zu den Vertretern der jüdischen Gemeinde: „Goldbarren ist der Tarif.“ Die Juden Thessalonikis hofften daher, ihr Leben sei nicht in Gefahr. Hingegen war Merten bestens über das baldige Eintreffen der Männer Eichmanns informiert.

Am 2./3. Februar 1943 kamen die Mitarbeiter Eichmanns, die SS-Hauptsturmführer Dieter Wisliceny und Alois Brunner, nach Thessaloniki. Ihre Aufgabe war es, die Deportation der thessalonischen Juden in die Vernichtungslager durchzuführen. Beide hatten einschlägige Erfahrungen in Bratislava und Wien. Brunner und Wisliceny trafen sofort mit Merten zusammen und alle drei arbeiteten eng zusammen. Zvi Koretz wurde nun von den NS-Besatzern zum Oberhaupt der jüdischen Gemeinde ernannt, da er fließend Deutsch sprach.

Am 8. Februar 1943 wurde der jüdische Gemeinderat über die rassistischen Maßnahmen Mertens informiert, die der Gemeinderat bis zum 26. Februar 1943 umzusetzen hatten: Den Juden wurde bei Todesstrafe verboten, öffentliche Verkehrsmittel sowie Fernsprecher zu benutzen. Der Kontakt zu Nichtjuden war verboten. Nach fünf Uhr nachmittags durften Juden nicht mehr auf den Hauptstraßen gehen. Ab Sonnenuntergang galt eine Ausgangssperre. Ab dem 6. Lebensjahr hatten Juden den gelben Stern auf ihrer Kleidung zu tragen.

Alle Juden mussten bis zum 26.2.43 in eines der 5 Ghettos umziehen. Das größte Ghetto war das Baron Hirsch-Ghetto, um das ein Zaun mit 3 Toren errichtet wurde. Von einem Tor ging es direkt zum Bahnhof. Am 6. März wurde den Juden untersagt, die Ghettos zu verlassen. Wer dieses Verbot übertrat, musste mit der Todesstrafe rechnen.

Oberrabbiner Koretz weigerte sich diese Maßnahmen umzusetzen. Doch unter den Drohungen der Besatzer blieb der jüdischen Gemeinde keine Wahl mehr. Noch am 27. Februar 1943 behauptete Merten, die Ghettos seien nur ein Provisorium und täuschte vor, sie könnten wieder aufgelöst werden. Diese Täuschung sollte die jüdische Gemeinde gefügig machen. Anfang 1943 als die judenfeindlichen Maßnahmen ergriffen wurden, flohen einige Juden aus Thessaloniki zu den Aufständischen in die Berge oder nach Athen.

Zudem mussten die Juden nun all ihren Besitz in Formularen erfassen und ihre Haushaltsgeräte an die Besatzungsbehörden abgeben. Die jüdische Bevölkerung musste Gold und Schmuckstücke im Wert von 130 Mio. Reichsmark abgeben. Die Juden mussten ihren Besitz und ihr Vermögen in Goldwährung eintauschen und an die Deutschen abgeben. Insgesamt kam die deutsche Besatzung so in den Besitz von 1,7 Mio. Goldpfund, das 12 Tonnen Feingold entsprach. Der Wert der den Thessalonischen Juden geraubten Immobilien wurde 1949 auf 102 Mio. Goldfranken geschätzt.

Als die jüdische Bevölkerung Thessalonikis ausgeraubt war, verließ der erste Deportationszug am 15. März 1943 mit 2.800 Deportierten Thessaloniki. Oberrabbiner Koretz suchte daraufhin den damaligen Ministerpräsidenten der Kollaborationsregierung, Ioannis Rallis, auf und bat ihn um Intervention bei der deutschen Besatzungsmacht, um die Deportationen zu stoppen. Wegen Meuterei wurde Koretz von den Deutschen nun zum dritten Male festgenommen.

Mit 19 Zügen zwischen dem 15. März 1943 und dem 10. August 1943 wurden 46.061 thessalonische Juden nach Birkenau und Auschwitz in die Vernichtung deportiert. Auch das letzte Bargeld, was sie bei sich hatten, wurde ihnen geraubt, und um sie über den wahren Grund der Deportation zu täuschen, wurde es gegen wertlose, gefälschte polnische Geldscheine eingetauscht, mit denen sie angeblich bei Krakau sich niederlassen und einen neuen Anfang beginnen könnten.

367 spanische Juden, für die sich die spanische Regierung eingesetzt hatte, blieben von den Deportationen in die Vernichtungslager verschont, auch sie mussten ihr Geld und ihren Besitz jedoch auch den Deutschen übergeben, bevor sie mit dem vorletzten Deportationszug zusammen mit als Geiseln genommenen Honoratioren der jüdischen Gemeinde, darunter auch Oberrabbiner Zvi Koretz, nach Bergen-Belsen deportiert wurden. Den italienischen Juden wurde erlaubt, in die italienische Zone überzusiedeln. Mit dem letzten Zug wurden 1.800 jüdische Zwangsarbeiter, die die Zwangsarbeit überlebt hatten, abtransportiert.

Immer wieder wurde nach 1945 auch von deutschen Historikern die Legende verbreitet, der Oberrabbiner Koretz sei der Hauptverantwortliche für die hohe Opferzahl, weil er mit den Deutschen zusammengearbeitet und ihnen angeblich die Listen der thessalonischen Juden ausgehändigt habe. Diese Legenden sind längst durch Forschungen widerlegt, halten sich z.T. aber hartnäckig. Zvi Koretz hatte keine Listen der jüdischen Gemeindemitglieder Thessalonikis den Deutschen übergeben. Die deutschen Besatzer hatten schon sehr früh die Archive der jüdischen Gemeinde geplündert und bei vielen Gelegenheiten selbst Listen angelegt. Der jüdische Gemeindevorstand hatte allerdings am 7. März 1943 eine Liste mit Namen von 104 hochangesehenen Juden erstellt, da die deutsche Besatzung Geiseln verlangte, sollte jemand aus den Ghettos fliehen. Diese vom Gemeindevorstand gefertigte Liste hatte Zvi Koretz tatsächlich übergeben, um zu verhindern, dass die Geiseln festgenommen werden.

Eine weitere Legende besagt, dass Zvi Koretz in der Versammlung von jüdischen höhergestellten Persönlichkeiten im Gestapogebäude eine Rede gehalten habe, um die jüdischen Gemeindemitglieder einzuschüchtern und sie gefügig zu machen, in die Ghettos zu ziehen. Aufgrund von Dokumenten aus den italienischen Konsulatsarchiven, denn damals hatten zwei italienische Juden über dieses Treffen Berichte abgegeben, weiß man, dass diese Rede nicht Zvi Koretz, sondern ein deutscher Offizier gehalten hatte.

Im Frühjahr 1943 konnten die Juden Thessalonikis die Wahrheit über die Deportationen nicht wissen. Zwar flohen viele aus Thessaloniki angesichts der judenfeindlichen Diskriminierungen, aber von dem Vernichtungswerk der Nazis konnten die thessalonischen Juden noch nichts Genaues wissen. Die Zeugnisse der überlebenden Juden Thessalonikis geben übereinstimmend an, dass Sie vom Schicksal der Deportierten nichts ahnten. Das Spiel der Täuschungen der NS-Besatzer durchschauten die Juden Thessalonikis nicht. Merten machte ihnen immer wieder Versprechungen.

In Athen konnten viel mehr Juden gerettet werden. Wisliceny zusammen mit Jürgen Stroop, der 1943 die Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto betrieben hatte, sollten nach der Kapitulation der Italiener die Athener Juden in die Gaskammern von Auschwitz verfrachten. Die jüdische Gemeinde Athens wusste von der Deportation der Juden Thessalonikis. Sie war gewarnt und vorbereitet. Zu den 3.000 Athener Juden kamen noch 4.000 aus Thessaloniki nach Athen geflohene Juden. Der Athener Rabbi Barzilai verweigerte die Übergabe von Akten und Namenslisten der Gemeinde an die NS-Besatzer.

Personalausweis, wie sie zum Schutz der Juden ausgestellt wurden. Eva Alhanati wird als Evangelia Alexiou bezeichnet. TheRamtzi – Eigenes Werk, gemeinfrei, CC BY-SA 3.0

Ab diesem Zeitpunkt organisierte die jüdische Gemeinde mit Hilfe der EAM die Flucht der Athener Juden in die Berge zu den Partisanen oder nach Euböa und von dort nach Palästina. Wichtige Hilfe leisteten hierbei der Erzbischof Damaskinos, der christliche Taufscheine organisierte, und der Athener Polizeichef, Angelos Evert, der den Polizeidienststellen befahl, den Juden Ausweise auszustellen. Der Rabbiner Barzilai floh zu den Aufständischen in die Berge und viele Juden Athens folgten seinem Beispiel.

Da Stroop und Wisliceny keine nennenswerten Erfolge bei der Registrierung der Athener Juden vorweisen konnten, wurden sie im Oktober 43, bzw. Januar 44 durch Walter Schimana und SS-Standartenführer Walter Blume, dem Befehlshaber von SiPo und SD in Athen, abgelöst. Blume hatte als Führer des Sonderkommandos 7a der Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei in Russland und Weißrussland Erfahrung bei der Vernichtung von Juden vorzuweisen. Unter dem Vorwand der Deutschen, zu Pessach würde an die Juden am 24.3.44 Matzen verteilt, wurden die Juden in die Athener Synagoge gelockt. So gelang es 350 Juden und in den Folgetagen deren Verwandte zu verhaften. Die verhafteten Athener Juden wurden in dem berüchtigten Lager Chaidari bei Athen eingesperrt und im April und Juni in zwei Zügen nach Auschwitz-Birkenau deportiert.

Im Gegensatz zu den Athener Juden hatten die Juden Thessalonikis jedoch so gut wie keinerlei Hilfe von den christlichen Griechen erhalten.

30. Mai 2018 Dr. Peter Milde


Quellen

(Die verwendeten Quellen zu dem in FIPS Nr. 11 – 13 und 16 veröffentlichten Vortrag):

Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2005.
Walter Bachsteffel, Sylvia Löser (Hg.): Kefaloriso, Mousiotitsa, Kommeno, Paramythia, Lingiades. Erinnerung für eine gemeinsame Zukunft, Paramythia: Selbstverlag W. Bachsteffel und S. Löser 2009.
Rika Benveniste: Die Überlebenden. Widerstand, Deportation, Rückkehr. Juden aus Thessaloniki in den 1940er Jahren, Berlin: Edition Romiosini/CeMoG, Freie Universität Berlin 2014 (griechische Ausgabe: Athen 2014).
Katerina Kralova: Das Vermächtnis der Besatzung. Deutsch-Griechische Beziehungen seit 1940, Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2016 (griechische Ausgabe: Athen 2013).
Mark Mazower: Griechenland unter Hitler. Das Leben während der deutschen Besatzung 1941 – 1944, Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2016 (amerikanische Ausgabe: Yale 1993).
Hermann Frank Meyer: Von Wien nach Kalavryta. Die blutige Spur der 117. Jäger-Division durch Serbien und Griechenland, Möhnesee: Bibliopolis 2002 (Peleus, Bd. 12).
Rena Molho: Der Holocaust der griechischen Juden. Studien zur Geschichte und Erinnerung, Bonn: Dietz Nachf. 2016.
Karl Heinz Roth & Hartmut Rübner: Reparationsschuld. Hypotheken der Deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa, Berlin: Metropol Verlag 2017.

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