FIPS NEWS Nr. 13: Zu den Verbrechen der 117. Jägerdivision der deutschen Wehrmacht auf dem Peleponnes
Editorial
Der Vortrag „Zur Rolle der NS-Besatzer und der NS-Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg im besetzten Griechenland“ wurde auf dem Sommertreffen des Mindener Kreises e.V., das vom 1. – 3. Juni 2018 in Petershagen stattfand, gehalten. Das Sommertreffen fand unter dem Thema „Die Jungenschaft und Griechenland“ statt.
Der Vortrag ist in folgende fünf Abschnitte unterteilt:
- Vorbemerkung: Die Verbrechen der NS-Wehrmacht in Griechenland und „die allererste Forderung an Erziehung“.
- Die Unterwerfung Griechenlands – Ziel NS-Deutschlands von Anfang an.
- Zum Angriffskrieg der NS-Wehrmacht gegen Griechenland und zu dessen Folgen für die griechische Bevölkerung.
- Zu den Verbrechen der 117. Jägerdivision der deutschen Wehrmacht auf dem Peleponnes.
- Zur Vernichtung der griechischen Juden Thessalonikis durch die NS-Besatzer.
In FIPS NEWS Nr. 11 und 12 erschienen die ersten drei Abschnitte des Vortrags. Hier folgt der vierte Abschnitt.
1. Februar 2020 Dr. Milde
Zu den Verbrechen der 117. Jägerdivision der deutschen Wehrmacht auf dem Peleponnes
Oberst Le Suire war Kommandeur der neu geschaffenen 117. Jägerdivision, die auf der Peleponnes verlegt wurde. Auf dem Weg von Jugoslawien nach der Peleponnes zerstörten Aufständische am 21.6.43 in Thessalien eine Kolonne von 82 Lastwagen, die Kriegsmaterial der 117. Jägerdivision transportierte, vollständig. Am gleichen Tag gelang es einem britischen SOE-Kommando die Asopos-Brücke zu sprengen, wodurch die Eisenbahn-Verbindung Thessaloniki – Athen für zwei Monate unterbrochen war. Beide Siege steigerten das Ansehen der Andárten mächtig.
Als Le Suire mit der 117. Jägerdivision auf dem Peleponnes ankam, war die Peleponnes offiziell noch italienisches Gebiet. Die 117. Jägerdivision unterstand wie andere deutsche Truppen auf der Peleponnes direkt dem Befehlshaber Südgriechenland, dem General Hellmuth Felmy, der in Erwartung eines Angriffs der Alliierten, sein Hauptquartier auf die Peleponnes verlegt hatte. Obwohl es bis zu diesem Zeitpunkt zu keinen größeren Angriffen Aufständischer gegen die deutschen Besatzungstruppen auf der Peleponnes gekommen war, erließ Felmy am 1. Juli 1943 einen Befehl zu sog. „strengsten Sühnemaßnahmen“. Beim Angriff auf deutsche Soldaten war „mit rücksichtsloser Strenge vorzugehen (…) Gegebenenfalls sind sämtliche männliche Familienmitglieder auszurotten. Ortschaften, die Banden als Zuflucht dienen können, sind zu zerstören. Die männliche Bevölkerung ist, soweit sie nicht wegen Teilnahme oder Unterstützung der Bandentätigkeit erschossen wird, geschlossen zu erfassen und dem Arbeitsdienst zuzuführen“.
Zur besseren Bekämpfung der Aufständischen wurde im Hauptquartier der Heeresgruppe E unter General Alexander Löhr ein sog. „Bandenreferat“ gebildet. Die Abteilung 03 dieses sog. „Bandenreferats“ wurde von dem Leutnant Kurt Waldheim (späterer UN-Generalsekretär und österreichischer Bundespräsident) geleitet. Diese Abteilung 03 hatte eine entscheidende Funktion bei der Planung von Angriffen der deutschen Truppen auf der Peleponnes, da bei ihr alle Meldungen der Truppeneinheiten, alle Berichte von Agenten, von V-Leuten, von der Geheimen Feldpolizei (GFP), von Gefangenenvernehmungen und alle abgehörten Funkmeldungen eingingen. Hans Wende, ein ehemaliger Studienrat der Deutschen Schule Athens war zuständig für die „Griechische Widerstandsbewegung“ und arbeitete Waldheim direkt zu. U.a. fasste Wende die Erkenntnisse über die Widerstandsbewegung in Kalavryta und Mazeika in „Exposés“ zusammen. Die von Wende gelieferten Berichte, Listen und Karten waren grundlegend für die militärischen Operationen der NS-Wehrmacht gegen die Aufständischen in diesem Raum.
Die Rolle dieser Schreibtischtäter wird auch an folgendem Beispiel deutlich: So stellte sich bei einem Verhör eines auf der Straße zu dem Dorf Soudena festgenommenen Schülers heraus, dass es sich um einen Verwandten eines von Wende als Kommunist bezeichneten Arztes in Kalavryta handelte. Dies reichte aus, um den Schüler am 2.9.43 zur Abschreckung in Kalavryta zu erhängen.
Im Verlauf der sog. „Bandenbekämpfung“ kam es ständig zu „Geißelerschießungen“ als sog. „Sühnemaßnahmen“ für von den Aufständischen getöteten deutschen Soldaten. Als am 25.11.43 bei einem Angriff der Aufständischen gegen eine Lastwagenkolonne bei Sparta 4 deutsche Soldaten getötet und 7 vermisst wurden, befahl Le Suire die Erschießung von 100 Geißeln. Auf dem Weg zum Erschießungsort wurden von den deutschen Soldaten 18 Hirten und Bauern aufgegriffen, die gleich mit erschossen wurden.
Mitte Oktober gelang es den Andárten beim Angriff gegen Soldaten des 117. Jägerregiments, das Dörfer nach Aufständischen durchsuchte, 81 deutsche Soldaten gefangen zu nehmen. Es kam zwischen den Andárten und dem 117. Jägerregiment vorübergehend zu Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch. Le Suire ordnete eine umfangreiche sog. „Bandenbekämpfung“ an, die den ganzen Nordpeleponnes umfasste und an der 3.000 Soldaten beteiligt waren. Er befahl die Aufständischen „sofort rücksichtslos unter Einsatz aller schweren Waffen zu vernichten (…) und Ortschaften, aus denen geschossen wurde (…) niederzubrennen und die Männer zu erschießen“.
Am 1.12.43 bombardierte das X. Fliegerkorps die Ortschaft Vissoka, wo die deutsche Aufklärung das Hauptquartier der Andárten vermutete. Dabei wurden die Schule und einige Häuser zerstört und 13 Dorfbewohner getötet. Als Reaktion darauf wurden am 6.12.43 die gefangen genommenen deutschen Soldaten erschossen, nur zwei überlebten.
Daraufhin kam es zu ungeheuerlichen Massakern an der Zivilbevölkerung. Am 8.12.43 rückte eine Einheit des Jägerregiments in das kleine Dorf Rogoi ein, die Männer wurden in der Kirche zusammengetrieben und unter dem Kommando Akamphuber wurden 58 Männer, etwa drei Viertel der männlichen Bevölkerung des Dorfes im Alter von über 16 Jahren ermordet und 70 Häuser in Brand gesetzt. Ebenfalls am 8.12.43 rückte eine Einheit auf Befehl von Ebersberger in das Dorf Kerpini ein, ermordete 37 Männer und verbrannte die Häuser. Mordend und brandschatzend zogen die deutschen Soldaten durch weitere Dörfer und das Kloster Megalo Spiläon.
Am 9.12.43 kamen aus allen Richtungen die verschiedenen Einheiten in das Städtchen Kalavryta. Als Kommandeur des sog. „Unternehmens Kalavryta“ befahl Major Hans Ebersberger am 13.12.43 die Erschießung von 511 Männern des Städtchens, das vor dem Krieg 2.000 Einwohner hatte. Bevor die Stadt niedergebrannt wurde, wurden die Häuser und Geschäfte systematisch geplündert und aus der Bank 270 Mio. Drachmen geraubt. Auch das berühmte Agia-Lavra-Kloster wurde nicht verschont. Beim Rückmarsch der deutschen Truppen in ihre Quartiere wurde jeder Ort in Brand gesetzt. Insgesamt wurden bei dieser sog. „Bandensäuberung“ 696 Zivilisten ermordet. (1)
Die Massaker führten zu einem Aufschrei der Öffentlichkeit, die selbst den Ministerpräsident der Kollaborationsregierung, Ioannis Rallis, zu einem Protestschreiben veranlasste. Im Antwortschreiben log Speidel, Militärbefehlshaber Griechenland. Er behauptete aus der Stadt Kalavryta sei geschossen und die Stadt im Kampf genommen worden, zuvor seien verwundete deutsche Soldaten von Bewohnern Kalavrytas getötet und das Kloster hätten Mönchen mit der Waffe verteidigt. Er, Speidel, habe und werde alles tun, um Unschuldige zu schützen.
Wenn Dröge in dem Artikel „Klisura und Distomo“ nahelegt, der deutsche Oberbefehlshaber Südost Alexander Löhr und der für den Peleponnes zuständige Befehlshaber Hellmuth Felmy hätten die Kriegführung von Le Suire grundsätzlich kritisiert, so täuscht er sich. Noch am 22. Januar 1957 schrieb Felmy: „Die Gegenmaßnahmen der 117. Jäg. Div. in Kalavryta (…) waren berechtigt.“ Was Felmy und Löhr störte, war lediglich „die Form der Durchführung“, die die Wehrmacht immer verhasster machte. Löhr erließ daher am 22.12.43 einen neuen Befehl zu „Sühnemaßnahmen“, da nach seinen Worten das „Vertrauen in die Gerechtigkeit der Besatzungsmacht (erschüttert)“ sei und dies „auch den loyalen Teil der Bevölkerung in die Wälder (treibt)“. Grundsätzliche Bedenken hatte Löhr jedoch keine, denn in dem Befehl heißt es weiter: „Ergibt jedoch die Untersuchung (…) die offene oder versteckte Mitwirkung oder ein bewusst passives Verhalten bestimmter Personen gegenüber den Tätern, so sind in erster Linie diese Personen als Banditenhelfer zu erschießen und deren Wohnstätten zu vernichten.“ In den Augen der Wehrmacht waren also lediglich die Kollaborateure keine Feinde. Damit nicht genug, heißt es in dem Befehl weiter: „Lassen sich derartige Mitschuldige nicht finden, so muss auf Personen zurückgegriffen werden, die ohne mit der einzelnen Tat in Verbindung zu stehen, trotzdem als mitverantwortlich anzusehen sind. Mitverantwortlich sind in erster Linie solche Personen, die sich zum Kommunismus bekennen.“
Vor deutschen Gerichten ist es nicht in einem einzigen Fall zu einer Prozesseröffnung gegen die Verantwortlichen der Massaker gekommen. Die Bochumer und Münchner Staatsanwaltschaft stellte jeweils Ermittlungsverfahren ein, mit der Begründung, dass die Sühnemaßnahmen als gerechtfertigt anzusehen seien. Ganz anders im Geiselmordprozess in Nürnberg, wo General Felmy von den amerikanischen Richtern zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil „die Sühnemaßnahmen“ „den Grad der Schwere der vorangegangenen Taten überschritten“. Allerdings wurde er 1951 schon wieder freigelassen.
30. Mai 2018 Dr. Peter Milde
(1) Nach der Meldung der 117. Jäger-Division vom 31. Dezember 1943 an das Generalkommando des LXVIII. Armee-Korps wurden während des „Unternehmens Kalavrita“ 696 Personen erschossen. (Hermann Frank Meyer: Von Wien nach Kalavryta. Die blutige Spur der 117. Jäger-Division durch Serbien und Griechenland, Mannheim: Peleus, 2002). Nach neueren Forschungen betrug die Zahl der zivilen Opfer des sog. „Unternehmens Kalavrita“ über 1000 Personen. (Bundeszentrale für politische Bildung: 13.12.2018 – Vor 75 Jahren – Das Massaker von Kalavrita, https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/282151/vor-75-jahren-das-massaker-von-kalavrita).
Siehe auch:
https://www.gedenkorte-europa.eu/de_de/kalavryta.html
http://www.hfmeyer.com/german/veroeffentlichungen/wien/index.html
(Die Veröffentlichung des Vortrags wird im nächsten FIPS NEWS mit dem fünften und letzten Abschnitt „Zur Vernichtung der griechischen Juden Thessalonikis durch die NS-Besatzer“ fortgesetzt).