Oktober 2021 – FIPS-News Nr. 38: Zum demokratischen Kampf gegen Judenfeindschaft (Kapitel 2)

Editorial

Das Essay „Zur Geschichte des demokratischen Kampfes gegen Judenfeindschaft“ wird mit dem 2. Kapitel fortgeführt. Die nächsten Kapitel erscheinen jeweils in den folgenden FIPS-NEWS.

Wir bitten nochmals um Entschuldigung, dass die Veröffentlichung erst jetzt erfolgt.

10. August 2022 Dr. Peter Milde

2. Zum Kampf zwischen Scholastikern und Humanisten und die Judenfeindschaft

Im ausgehenden Mittelalter entwickelte sich zunehmend der Klassenkampf zwischen den feudalen Klassen einerseits und dem aufstrebendem Bürgertum andererseits auch in den deutschen Staaten, bzw. den „freien Reichsstädten“. Dieser Klassenkampf wurde auf ideologischem Gebiet u.a. ausgetragen zwischen reaktionären Scholastikern auf der einen Seite und bürgerlichen Humanisten auf der anderen Seite.

Anfang des 16. Jahrhundert verbreitete sich in den deutschen Ländern die humanistische Auffassung von der Gleichheit der Menschen und ihren „Bürgerrechten“. Diese Vorstellung entsprach dem Austausch Gleiches mit Gleichem, der Grundsatz der sich entwickelnden kapitalistischen Ökonomie war. Auch die Produzenten wurden zu einer austauschbaren Ware. Innerhalb dieser humanistischen Strömung entwickelten sich auch der „frühe“ Luther und der Protestantismus, die vom humanistischen, abstrakt-menschlichen Standpunkt aus die Judenfeindschaft und den Judenhass bekämpften.1

Im Kampf gegen die deutschen Humanisten betätigten sich die Dominikaner (wie bereits im Kampf gegen die „Häretiker“) wieder als Antreiber der Reaktion. Sie forderten, die Bücher und Schriften der Juden zu beschlagnahmen und zu vernichten. Der zum Christentum konvertierte Johannes Pfefferkorn war im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in den deutschen Ländern der eifrigste judenfeindliche Publizist und Unterstützer der Dominikaner. Er tischte die gesamte christliche Hetze gegen die Juden wieder auf und forderte, den Talmud und andere jüdische Schriften wegen ihrer angeblich „christenfeindlichen Inhalte“ zu verbrennen und rief zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung auf.

Johannes Reuchlin, ein Schüler des jüdischen Humanisten Josel von Rosheim und Jurist am Hofe des Grafen von Württemberg, bekämpfte auf Grund seiner Kenntnisse des Judentums die reaktionären gewalttätigen Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung und ihren Glauben. Als deutscher und christlicher Humanist ging er jedoch nicht so weit, die Gleichberechtigung der Religionen anzuerkennen. In seinem „Gutachten“ (1510) gegen Pfefferkorn, 1511 mit dem Titel „Augenspiegel“ veröffentlicht, fasste er seine Auffassung folgendermaßen zusammen: „Man soll die Bücher der Juden nicht verbrennen, und man soll sie … durch vernünftig vorgebrachte Gründe in Sanftmut und Güte durch Gottes Hilfe zu unserem Glauben führen.“2 Johannes Reuchlin sollte damit die Haltung des liberalen deutschen Bürgertums dem Judentum gegenüber für die nächsten Jahrhunderte begründen.

(Fortsetzung folgt).

30.07.2022 Dr. Peter Milde

Endnoten:

1 Luther war in dieser Zeit – auch wegen seiner Italienreise – vom italienischen Humanismus beeinflusst.

2 Hans-Rüdiger Schwab, Johannes Reuchlin. Deutschlands erster Humanist. Ein biographisches Lesebuch, dtv München 1998, S. 172f.

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