April 2022 – FIPS-NEWS Nr. 44: Zum demokratischen Kampf gegen Judenfeindschaft (Kapitel 8)
Editorial
Das Essay “ Zur Geschichte des demokratischen Kampfes gegen Judenfeindschaft“ wird mit dem 8. Kapitel fortgeführt. Die folgenden Kapitel erscheinen jeweils in den folgenden FIPS-NEWS.
Wir bitten nochmals um Entschuldigung, dass die Veröffentlichung erst jetzt erfolgt.
10. August 2022 Dr. Peter Milde
8. Christian Konrad Wilhelm von Dohm – Ein deutsch-preußischer Aufklärer und die Judenfeindschaft
Die verschiedensten Publikationen bezeichnen Wilhelm von Dohm, Kriegsrat, Diplomat und Politiker des Preußenkönigs, als „den wichtigsten Verfechter der jüdischen Gleichberechtigung“.1
Dohm gestand den „Juden“ zwar abstrakt die „Bürgerrechte“ zu,2 doch in der Praxis verweigerte er die sofortige politische Emanzipation der Juden und verweigerte ihnen die Ausübung „öffentlicher Ämter“.3 Dohm begründete dies damit, dass die Juden „… die übertriebene Neigung der Nation (Dohm meint die jüdische Nation, AdV.) zu jeder Art von Gewinn, ihre Liebe zum Wucher, zu betrügerischen Vorteilen …“ hätten und Dohm bezeichnete „Betrug und Wucher als auszeichnende Züge in dem Charakter des Juden“.4
Dohm schleifte die bürgerlich-demokratische Forderung der sofortigen uneingeschränkten Emanzipation zu einer „Schritt-für-Schritt-Emanzipation“, die er davon abhängig machte, dass die Juden sich zuerst einmal zu „bessern“ hätten. Es ist das beliebte Motto des deutschen Kleinbürgers: „Nur immer langsam voran“.5
Für den aufgeklärten Ideologen Dohm waren die Menschen unabhängig von ihrer Religion gleich. Für den Christen Dohm musste der preußische Staat ein christlicher Staat und dessen „Staatsdiener“ daher „Christen“ und keine Juden sein. Dohm löste dieses Dilemma folgendermaßen: Der „Jude“ müsse sich erst „bessern“, er müsse seine jüdische Kultur und Religion, seine Eigenarten (die angeblich „schlechter“ als die der Christen waren) ablegen.6
Was Dohm häufig als Verdienst angerechnet wird, ist in Wirklichkeit eine „aufgeklärte“ Variante von Judenfeindschaft. Die süddeutschen Regierungen verweigerten mit diesem Argument Jahrzehnte lang der jüdischen Bevölkerung die politische Emanzipation.7 In Deutschland war daher auch die politische Emanzipation der jüdischen Bevölkerung nicht das Werk des Bürgertums, sondern im Wesentlichen das Werk des reaktionären „aufgeklärten“ Absolutismus in Preußen und der Habsburger Monarchie.
Als Mitglied der „Gesellschaft der Freunde der Aufklärung“ konnte Dohm die angeblich „unzivilisierte“ Kultur, Religion und Eigenart der Juden nicht allein auf ihr angeblich angeborenes „kollektives Wesen“, bzw. „kollektiven Charakter“ zurückführen. Dohm machte hierfür die Jahrtausende Jahre andauernde Unterdrückung verantwortlich, die angeblich „das Wesen“ und „den Charakter“ der Gesamtheit der Juden „sittlich verdorben“ hätte.8 Und schon hatte Dohm eine Begründung, die sich noch dazu „wissenschaftlich“ anhörte, um der jüdischen Bevölkerung Preußens (Deutschlands) die Gleichberechtigung im Staat vorzuenthalten.
(Fortsetzung folgt).
31. 07.2022 Dr. Peter Milde
Endnoten:
1 Zur Analyse des Kampfs gegen Judenfeindschaft, Band 2, S. 45f.
2 Wilhelm von Dohm hat in zwei Schriften sich mit der Emanzipation der Juden in Preußen auseinander gesetzt: „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ (1781) und: Neuauflage von 1783 mit seiner Antwort auf die Kritik des Theologieprofessors Michaelis.
3 „Eine andere Frage ist, ob man schon jetzt in unseren Staaten die Juden zu öffentlichen Ämtern zulassen könnte? Allerdings scheint es, würde man … den Juden, … nicht verwehren können, … dem Staate zu dienen, …, falls ihre Ansprüche durch Fähigkeit unterstützt würden, … Indes glaube ich, dass bei den nächstenGenerationen sich diese Fähigkeit noch nicht so häufig zeigen …“. (Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, z.n.: Zur Analyse …. Band 2, S. 53). Auf die Kritik des Theologen und Orientalisten Johann David Michaelis an seiner Schrift von 1781 antwortete Dohm 1783 im Grunde Michaelis zustimmend: „Allerdings hat es seine Richtigkeit, dass die Juden, so wie sie jetzt sind, mit ihrem trennenden Gesetz, absondernden Gebräuchen und mancherlei Vorurteilen nicht vollkommen gute Bürger sein können.“ Die Juden seien „Fremde“ und könnten daher keine Gleichberechtigung erfahren, da sie an ihrem „jüdischen Gesetz“ (im Grunde ein diffamierendes Synonym der Christen für die jüdische Religion), an ihren „Gebräuchen“ und „Vorurteilen“ (sprich an ihrer Kultur) festhielten.
4 Ebd., S. 55-56. Wes geistig Kind Dohm ist, zeigt der Vergleich mit den folgenden Aussagen Luthers: „Denn die Juden sind‘s, die heftiger begehren Gold und Silber, denn kein Volk auf Erden…“ (…. ) „… alles was sie haben (wie droben gesagt), haben sie uns gestohlen und geraubt durch ihren Wucher …“ (Luther, Von den Juden und ihren Lügen, 1543, z.n. Zur Analyse des Kampfs gegen Judenfeindschaft Band 1, S. 88).
5 Der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn trat im Gegensatz zu Dohm für die sofortige und uneingeschränkte Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung ein. Den Gegnern einer sofortigen politischen Emanzipation der Juden warf er vor: „Man bindet uns die Hände, und macht uns zum Vorwurf, dass wir sie nicht gebrauchen.“ (Moses Mendelssohn, Vorbemerkung (1782) zu Manasseh Ben Israels Schrift „Rettung der Juden“, z.n.: Zur Analyse des Kampfs … Band 2, S. 40).
6 In die heutige Diktion übersetzt bedeutet dieses judenfeindliche Narrativ: Der „fremde Jude“ – wie der Fremde überhaupt – müsse sich erst einmal „anpassen“, „integrieren“, „assimilieren“, das christliche Leitbild der Deutschen „verinnerlichen“, bevor er deutscher Staatsbürger werden könne.
7 Siehe Reinhard Rürup, Emanzipation und Antisemitismus, Fischer Verlag Frankfurt am Main 1978, S. 46ff.
8 „Ich kann es zugeben, dass die Juden sittlichverdorbener sein mögen, als andere Nationen; … dass ihr Charakter im Ganzen mehr zuWucher und Hintergehung im Handel gestimmt, ihr Religionsvorurteil trennender und ungeselliger sei; aber ich muss hinzusetzen, dass dieseeinmalvorausgesetztegrößereVerdorbenheitderJuden eine notwendige und natürliche Folge der drückendenVerfassungist, in der sie sich seit so vielen Jahrhunderten befinden.“ (Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, 1781, z.n.: Zur Analyse des Kampfes … Band 2, S. 57)