Februar 2022 – FIPS-News Nr. 42: Zum demokratischen Kampf gegen Judenfeindschaft (Kapitel 6)
Editorial
Das Essay „Zur Geschichte des demokratischen Kampfes gegen Judenfeindschaft“ wird mit dem 6. Kapitel fortgeführt. Die folgenden Kapitel erscheinen jeweils in den folgenden FIPS-NEWS.
Wir bitten nochmals um Entschuldigung, dass die Veröffentlichung erst jetzt erfolgt.
10. August 2022 Dr. Peter Milde
6. Johann Andreas Eisenmengers ‚Umerziehung‘ der Juden
Nach Luther sticht der bürgerliche Gelehrte und Hebraist Johann Andreas Eisenmenger mit seiner antijüdischen Schrift „Entdecktes Judentum“ hervor, die erst nach seinem Tod 1711 veröffentlicht wurde. Er trug nicht nur die judenfeindlichen Mythen der letzten Jahrhunderte zusammen, sondern machte es sich zur zentralen Aufgabe, im Talmud „Christenfeindschaft“, „Rechtfertigung von Betrug und Meineid“ und „Hass gegen alle anderen Völker“ angeblich nachzuweisen.
Im Unterschied zu Pfefferkorn und Luther, die noch zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung aufriefen, forderte Eisenmenger dazu auf, die jüdische Bevölkerung zu bekehren und „umzuerziehen“ und hierzu ihre religiösen Schriften und Bücher (insbesondere den Talmud) zu verbrennen.1
Mit der Forderung nach „Besserung der Juden“ lieferte Eisenmenger den Judenfeinden ein neues Argument für die Diffamierung und die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Um von der „Unmoral“ der christlichen deutschen Herrscher und ihrer Schergen abzulenken, wetterte er gegen die angeblich „unmoralische“ Kultur und Religion der Juden und forderte deren Abkehr von ihren „unmoralischen“ Sitten und Gebräuchen.2
Selbst Johannes Reuchlin, ein ausgesprochener Gegner der judenfeindlichen Ideologen, der sich als Humanist in mehreren Schriften3 für den Schutz der Juden einsetzte und die Dominikaner und Pfefferkorn bekämpfte, rief dazu auf, die jüdische Bevölkerung zum christlichen Glauben zu „bekehren“. So war auch Reuchlin inkonsequent im Denken und kompromissbereit im Handeln.
(Fortsetzung folgt).
30.07.2022 Dr. Peter Milde
Endnoten:
1 In der antijüdischen Hetze nahmen zu dieser Zeit die Angriffe auf dem Talmud eine zentrale Rolle ein, da mit der Erfindung des Buchdrucks explizit „jüdische“ Schriften, wie der Talmud, Verbreitung fanden. Zuvor nutzten auch die Juden wie die Christen das „Alte Testament“. Der Talmud wurde damit zu einem jüdische Identität stiftenden Buch.
2 Eisenmenger lieferte mit der Forderung nach „Besserung“ den „deutschen Aufklärern“ (wie Dohm) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und den deutschen Liberalen in den süddeutschen Landtagen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Stichwort, womit diese dann der jüdischen Bevölkerung die politische Emanzipation verwehrten.
3 „Gutachten“ von 1510, „Augenspiegel“ von 1511 und „Defensio“ von 1513. Insbesondere wies Johannes Reuchlin die verleumderische Hetze gegen den Talmud zurück. Juden und Christen galten ihm gleichermaßen als „Bürger des ‚Heiligen Römischen Reichs‘.