Juni 2022 – FIPS-NEWS Nr. 46: Zum demokratischen Kampf gegen Judenfeindschaft (Kapitel 10)

Editorial

Das Essay “ Zur Geschichte des demokratischen Kampfes gegen Judenfeindschaft“ wird mit dem 10. Kapitel fortgeführt. Die nächsten Kapitel erscheinen jeweils in den folgenden FIPS-NEWS.

Wir bitten nochmals um Entschuldigung, dass die Veröffentlichung erst jetzt erfolgt.

10. August 2022 Dr. Peter Milde

10. Johann Gottlieb Fichte: Bürgerliche Radikalität und Judenfeindschaft

Fichtes judenfeindliche Ansichten finden sich in seinem 1793 geschriebenen Buch über die Französische Revolution.1 Seine Kernthese lautete, „die Juden“ seien wie ein „Staat im Staate“, vergleichbar mit dem Adel, den Zünften, dem Soldatenstand und der Geistlichkeit. Tatsächlich hatten im feudal-absolutistischen Staat alle diese gesellschaftlichen Kollektive „Sonderrechte“,2 die durch die bürgerliche Revolution beseitigt werden sollten, um der Bourgeoisie alle Freiheiten ihres kapitalistischen Wirtschaftens zu ermöglichen.

Fichte machte jedoch eine Ausnahme: Für „die Juden“ dürfe die Beseitigung der „Sonderrechte“ nicht gelten. Fichte knüpfte hier an Dohm und Michaelis an und konstruierte einen neuen Begriff von den „Juden als Staat im Staate“, der sich den deutschen Staatsbürgern gegenüber „feindlich“ verhalte. Daher könnten die Juden keine „Bürgerrechte“ erhalten.3

Saul Ascher stellte in seiner Kritik an Fichte die Verbindung zu Kants judenfeindlichen Ansichten dar. Beide – Kant und Fichte – maskierten ihre „neue“ Judenfeindschaft „moralisch“: Die jüdische Religion habe keine moralischen Inhalte und das Judentum sei unmoralisch, weil es die übrige Menschheit ausschließe. Der Handel als Erwerbsquelle habe bei „den Juden“ „jedes edle Gefühl“ „getötet“ (Siehe S. 96).

Fichtes „deutscher Nationalismus“ war bürgerlich-demokratisch, d.h. antidynastisch. Unter dem Eindruck der Besatzung vieler deutscher Staaten, darunter auch Preußens, durch französische Truppen entwickelte Fichte in seinen „Reden an die deutsche Nation“ von 1808 einen bürgerlich-deutschen Nationalismus, der sich für die bürgerliche Revolution in Frankreich begeisterte.4 Die Begeisterung Fichtes für die Französische Revolution und der große ideologische Einfluss, den seine revolutionären Ansichten5 auf die Erweckung eines bürgerlichen Nationalbewusstseins in den deutschen Staaten hatten, war für das zersplitterte feudal-absolutistische Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts objektiv fortschrittlich.6

(Fortsetzung folgt).

31.07.2022 Dr. Peter Milde

Endnoten:

1 Johann Gottlieb Fichte, Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution, 1793.

2 Freilich profitierten diese Kollektive – außer den Juden – von diesen Sonderrechten. Nur die Juden wurden von Sonderrechten diskriminiert, unterdrückt und spezifisch ausgebeutet.

3 „Fast durch alle Länder von Europa verbreitet sich ein mächtiger, feindselig gesinnter Staat, der mit allen übrigen im beständigen Kriege steht, und der in manchen fürchterlich schwer auf die Bürger drückt; es ist das Judentum. Ich glaube nicht, und ich hoffe es in der Folge darzutun, dass dasselbe dadurch, dass es einen abgesonderten und so fest verketteten Staat bildet, sondern dadurch, dass dieser Staat auf den Hass des ganzen menschlichen Geschlechtes aufgebaut ist, so fürchterlich werde. (…) Erinnert ihr euch denn hier nicht des Staates im Staate? Fällt euch denn hier nicht der begreifliche Gedanke ein, dass die Juden, welche ohne euch Bürger eines Staates sind, der fester und gewaltiger ist als die eurigen alle, wenn ihr ihnen auch noch das Bürgerrecht in euren Staaten gebt, eure übrigen Bürger völlig unter die Füße treten werden?“ (Johann Gottlieb Fichte, Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution, 1793, z.n.: Johann Gottlieb Fichte, Sämtliche Werke. Band 6, Berlin 1845/1846, S. 149-150, Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009167145).

4 In den „Reden an die deutsche Nation“ finden sich keine judenfeindlichen Äußerungen. Es mag sein, dass dies auch Ausdruck davon war, dass Fichte seine Meinung über „die Juden“ 1799 revidiert hatte.

5 Fichte hatte am Erwachen eines deutschen bürgerlichen Nationalbewusstseins maßgeblichen Anteil, wenn auch neben ihm solche Reaktionäre wirkten, wie Ernst Moritz Arndt und der „Turnvater“ Ludwig Jahn.

6 Friedrich Engels erwähnte daher, dass die „deutschen Sozialisten“ auch von Fichte „abstammen“ (so wie sie aus ganz anderen Gründen gewissermaßen auch von Hegel und Feuerbach „abstammen“). Weder Marx noch Engels haben Fichte „in zu allgemeiner Weise gelobt“, wie ihnen unterstellt wird. (Zur Analyse des Kampfs … Band 2, S. 90 FN 104).

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